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Nationale Interessen: Verteidigungsminister de Maizière erteilt Nachhilfeunterricht

Verteidigungsminister de Maizière hat in der FAZ vom 27.5.2011 politischen Nachilfeunterricht erteilt. Während allseits Grüne, Linke und andere darüber grübeln, ob eine Beteiligung der Bundeswehr an dem Krieg in Libyen als „humanitäre Intervention“ nicht doch notwendig wäre, stellt der Verteidgungsminister klar, dass Streitkräfte nicht der bewaffnete Arm von „amnesty international“ sind, sondern

im nationalen Interesse eingesetzt werden.

Das gilt für die Mitgliedschaft in der NATO

Wir sind aus nationalem Interesse im Bündnis

ebenso, wie für UN-mandatierte Kriegseinsätze:

‚Mandat’ Das heißt wörtlich Auftrag. Das heißt natürlich nicht, dass die VN bestellen und wir einfach liefern. Das sind Anfragen, die wir bewerten und die wir, wenn wir sie bejahen, gemeinsam mit anderen Nationen durchführen.

Dabei kann es auch zu Einsätzen kommen

wo wir kein unmittelbares Interesse haben,

die aber

wegen der Rolle Deutschlands in der Welt

erforderlich sind.

Das alles ist nicht wirklich neu, aber es ist schön, dass diese Fakten von jemandem, der es wissen muss, in Erinnerung gerufen werden. Der Libyen-Krieg ist ein Beispiel, wie uns die Konkurrenz nationaler Interessen wieder einmal einen Krieg beschert hat. Weshalb die Bundesregierung meint, dass Deutschland aus „nationalem Interesse“ diesmal nicht dabei sein sollte und wie ihr vorgeworfen wird, dass gerade das „nationale Interesse“ es erfordere, keinen Krieg auszulassen, wie sich Deutschland mit der Bundeswehrreform für neue Kriege in Stellung bringt und dabei längst weiter ist, als allgemein vermutet, all das kann man in dem Artikel: „Libyen-Krieg und Bundeswehrreform“ von Uli Cremer und mir nachlesen.
In dem FAZ Interview hat Verteidigungsminister de Maizière jedenfalls deutlich gemacht, dass die Bundeswehr künftig vollständig als Interventionsarmee aufgestellt sein soll:

Die Einteilung in Eingreifkräfte, Stabilisierungskräfte, Unterstützungskräfte geben wir auf. Wir sprechen von einem „single set of forces“. Die Kräfte, die vorbereitet und ausgebildet zur Verfügung stehen für internationale Einsätze sind die gleichen, die wir für eine klassische Landesverteidigung bräuchten.

Und bemerkenswert ist auch die Antwort von de Maizière auf die Frage:

Es gibt viele Länder, von deren Instabilität eine Bedrohung unserer Sicherheit oder Interessen ausgehen kann: Von Pakistan über Jemen und Somalia bis Sudan. Sehen Sie da weitere Einsätze auf Deutschland zukommen, oder wird man nach den Erfahrungen in Afghanistan sagen, das ist keine Option?
Doch, das kann auf uns zukommen. Dass wegen einer Beteiligung in diesen Staaten gegebenenfalls auch Deutschland gefragt wird, damit rechne ich. Wie wir das beantworten, hängt dann von der Art der Anfrage und unserer Abwägung ab.

Daraus folgt der Tipp für alle, die als politischer Nachwuchs groß rauskommen wollen: schnell die Menschenrechtslage „von Pakistan über Jemen und Somalia bis Sudan“ analysieren und endlich ein Eingreifen „des Westens“ fordern. Dany Cohn-Bendit wird auch langsam älter, da kann ein Platz für einen Nachfolger frei werden.

Wilhelm Achelpöhler

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Wahnsinn! Zehntausende Bundeswehr-Soldaten desertiert?

Wer das Bundeswehr-Weißbuch 2006 gelesen hat und dieser Tage den Vorstellungen des neuen Verteidigungsministers Maiziere zur Bundeswehrreform lauscht, reibt sich verwundert die Augen. Laut der gerade erlassenen neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien sollen in Zukunft nicht nur 7.000, sondern 10.000 Bundeswehr-Soldaten für Auslandseinsätze zur Verfügung stehen. Diese Zahl muss man entsprechend der NATO-Erfahrungen mit mindestens 3 multiplizieren, weil noch einmal so viele sich auf den Einsatz vorbereiten, ein weiteres Drittel ruht sich vom Einsatz aus. Das ergäbe aktuell 21.000 und in Zukunft 30.000 Bundeswehr-Soldaten für Auslandseinsätze. Nicht die 7.000, sondern die 21.000 müsste man mit der Gesamtzahl der Bundeswehr in Beziehung setzen.
Vor 5 Jahren war im Weißbuch 2006 dargelegt worden, dass die Eingreifkräfte der Bundeswehr einen Größenordnung von 35.000 Soldaten hätten, davon 15.000 der schnellen Eingreiftruppe der NATO zugeordnet, 18.000 der EU, 1.000 als Stand-By-Force für die UNO und 1.000 „für eine grundsätzlich in nationaler Verantwortung durchzuführender Evakuierungsoperation“ (s. Weißbuch 2006, S.89f.). Hinzukamen 70.000 Stabilisierungskräfte „für Einsätze niedriger und mittlerer Intensität und längerer Dauer“; hieraus wurden insbesondere die ISAF-Soldaten für den Afghanistankrieg gezogen. Kurzum: 105.000 Soldaten der 252.000 = 42% der Bundeswehr werden seit 2006 für Auslandseinsätze vorgehalten! Doch halt: Aktuell hat die Bundeswehr durch die bereits vollzogene Aussetzung der Wehrpflicht nur noch eine Präsenzstärke von 221.000 (FR 19.5.2011, S.2). Wären also all die Einsatzkräfte und Stabilisierungskräfte noch zugegen, wären 47,5% der Bundeswehr für Auslandseinsätze vorgesehen!
Aber der Minister redet ja von 7 000. Insofern: Wahnsinn, die Bundeswehr hat in wenigen Jahren Verluste von über 80.000 auslandsverwendungsfähigen Soldaten zu beklagen. Wie konnte es soweit kommen? Sind Zehntausende desertiert?
Hans Rühle (ehemaliger Ministerialdirektor im BMVG) hat sich in der FAZ vom 10.5.2011 dem Phänomen der verschwundenen Soldaten gewidmet. Er findet: „Keine Frage: Eine Armee, die von 252 000 Soldaten lediglich 7000 durchhaltefähig in den Einsatz bringen könnte, wäre dringend reformbedürftig. Nur hat diese Rechnung einen Schönheitsfehler: Sie ist falsch. Die Zahl 7000, die der ehemalige Verteidigungsminister… Guttenberg als Beleg für die Dringlichkeit seiner Reformen ins Feld führte, entspricht nicht den realen Fähigkeiten der Bundeswehr. Die deutschen Streitkräfte können mehr, als es die gegenwärtige Debatte vermuten lässt.“ Er informiert darüber, dass die Eingreifkräfte „inzwischen sogar von 35 000 auf 50 000 aufgestockt“ worden sind! Demnach wird zur Zeit über die Hälfte der Bundeswehr (120.000 Soldaten von 221.000 = 54%) für Auslandseinsätze bereit gehalten. Dass die Stabilisierungskräfte wegen schlechter Organisation nur 7 000 (hier kommt die Propaganda-Zahl – so muss man das wohl bezeichnen – nämlich her) von insgesamt 70 000 im Einsatz haben können, ist für die Bundeswehrreformer, die eine besonders effiziente angriffsfähige Bundeswehr haben möchten, natürlich ein Problem.
Dass der neue Minister die Guttenbergschen Nebelwerfer weiter einsetzt, zeigt, dass im Bendlerblock absolute Kontinuität herrscht. Maiziere macht genau da weiter, wo Guttenberg aufgehört hat. Auch wenn er nicht mit seiner Frau im Plänterwald Fotoshootings macht oder mit ihr die Soldaten in Afghanistan besucht. Andererseits sollte man die PR-Maschinerie des neuen Ministers nicht unterschätzen. Er redet über die Bundeswehr nämlich so: „Wir sind eine ganz besondere Nationalmannschaft.“ (SZ 19.5.2011, „Befehl von oben“) Während es bei Auftritten der Fußballnationalmannschaft beim Gegner maximal zu Knochenbrüchen kommen kann, werden die Gegner der Bundeswehr mit Kampfjets, Panzerhaubitzen oder Maschinengewehren bekämpft, so dass es durchaus Todesopfer gibt. Während die deutschen Fußballer gegen andere Fußballer antreten, zeigen die die Ereignisse der letzten Tage in Talokan, dass die „besondere Nationalmannschaft“ zuweilen nicht nur gegen Kombattanten, sondern auch Demonstranten kämpft.

Uli Cremer

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Gab es einen Haftbefehl gegen Osama Bin Laden?

In den letzten Tagen wurde in Deutschland viel über die Liquidierung Bin Ladens diskutiert, insbesondere ob es dabei auch mit rechtstaatlichen Mitteln zugegangen sei. Wenig beleuchtet wurde aber das, was ihm eigentlich exakt vorgeworfen wurde. Hierzu gibt üblicherweise ein Haftbefehl o.ä. Auskunft.

In der Tat gab es in den USA einen solchen Haftbefehl gegen Osama Bin Laden. Interessanterweise suchte ihn aber das FBI bis zu seinem Tode gar nicht wegen der Anschläge vom 11.September 2001! Sondern angelastet wurden ihm:

„Usama Bin Laden is wanted in connection with the August 7, 1998, bombings of the United States Embassies in Dar es Salaam, Tanzania, and Nairobi, Kenya. These attacks killed over 200 people. In addition, Bin Laden is a suspect in other terrorist attacks throughout the world.“

Bis heute ist der entsprechende Steckbrief auf der FBI-Website abrufbar.

Das passt damit zusammen, dass man es seitens der US-Regierung in den letzten 10 Jahren nicht für nötig befand, die Öffentlichkeit mit irgendwelchen gerichtsfesten Beweisen zu versorgen, dass Bin Laden der Drahtzieher des 11.September war. Entsprechende Beweise mögen ja in Washington existieren. Rechtsgläubige Menschen fänden es natürlich angemessen, diese kennenzulernen. Selbst Top-Terroristen sollte man ihr Tun auch nachweisen. Die eigene Behauptung immer nur zu wiederholen, ist rechtstaatlich nicht ausreichend – zumal wenn man einen mutmaßlichen Täter liquidiert, wie vor ein paar Tagen geschehen.

Nun meinen Viele: Mensch, der Bin Laden hat sich doch damals mit Video zu der Tat bekannt. Nein, so einfach ist das leider nicht, wie ein Blick zurück in das Jahr 2001 zeigt:

„Als Drahtzieher der Anschläge wurde der Öffentlichkeit Osama Bin Laden präsentiert. Das klang plausibel, denn Bin Laden ziert seit 1998 die US-Fahndungsplakate. Er wurde vor dem 11.9. für diverse Anschläge verantwortlich gemacht, allerdings fehlen auch hier weiter stichhaltige Beweise für seine Beteiligung am 11.9. Es war nämlich keineswegs so, dass der »Terrorchef« sich zeitnah stolz zu den Anschlägen bekannte, etwa in einer seiner üblichen Videobotschaften, was man eigentlich hätte erwarten können. Im Gegenteil: Am 16.9.2001 ging bei der Nachrichtenagentur AIP in Peshawar (Pakistan) ein Fax ein, in dem Bin Laden die Anschuldigung zurückwies und »kategorisch« erklärte, »dass ich diese Aktion nicht geleitet habe«.[i] Die Aussage muss natürlich nicht der Wahrheit entsprechen, aber Fakt ist, dass er kein eigenes Jubel-Video lancierte.
Diese Aufgabe übernahm vielmehr die US-Regierung selbst, allerdings erst am 13. Dezember 2001 (also zwei Monate nach dem Einmarsch der US-geführten Truppen in Afghanistan). Sie präsentierte ein angeblich privates, nicht zur Veröffentlichung bestimmtes Videoband als »Beweis«. Es war rein zufällig von US-Geheimagenten »in einem leeren Privathaus in der ostafghanischen Stadt Jalalabad gefunden«[ii] worden. Nach 14-tägiger Bearbeitung wurde das Band von der US-Regierung an die Medien gegeben. In dem Video übernimmt Bin Laden gemäß der offiziellen Verschwörungstheorie und entgegen seines öffentlichen Dementis vom 16.9.2001 Verantwortung für die Anschläge: »Wir berechneten die Zahl der Opfer unter den Feinden voraus, wie viele nach der Position der Türme getötet würden. Wir kalkulierten, dass die Zahl der Stockwerke, die getroffen würden, drei oder vier sein würden. Ich war der Optimistischste von allen. Dank meiner Erfahrungen auf diesem Gebiet ging ich davon aus, dass das Feuer nach der Explosion des Flugzeugtreibstoffes die Stahlkonstruktion des Gebäudes schmelzen und die Türme an der Einschlagstelle und oberhalb zum Einsturz bringen würde. Das war alles, was wir erhofft hatten.«[iii]
Außerdem erwähnt Bin Laden Atta als Chef der Operation, auch wenn er sich an seinen Nachnamen nicht erinnern kann: »Mohammed (Atta) von der ägyptischen Familie (die ägyptische Gruppe von Al Kaida) war verantwortlich.«[iv] So wäre dann die Verbindung zwischen den mutmaßlichen Attentätern und dem Hintermann gezogen.
Die Süddeutsche Zeitung bewertete das Video vorsichtig so: »Wegen der sehr schlechten Qualität des Bandes und seiner obskuren Herkunft blieben allerdings weiterhin viele Fragen offen und widersprüchliche Interpretationen möglich.«[v] Andere vermuten sogar, dass es sich um eine Fälschung handelt[vi]. Nicht nur der Text, den die US-Ermittlungsbehörden ‚übersetzt’ haben, wird in Zweifel gezogen. Auch bei der gezeigten Person scheint es sich nicht um den wirklichen Bin Laden zu handeln.[vii]
Außer dem dubiosen Video, dessen Mastertape selbstverständlich unter Verschluss ist, hat die US-Regierung bisher keinen einzigen Beweisversuch unternommen, der belegt, dass Bin Laden mit der Planung der Anschläge befasst war.“

i FAZ vom 17.9.2001 oder auch: http://www.netzeitung.de/spezial/zeitgeschichte/160447.html
ii Heilig, René: Einfach nur im falschen Film? In: Arnold Schölzel (Hrsg.): Das Schweigekartell, Berlin 2002, S. 99
iii Hamburger Abendblatt vom 15.12.2001
ivEbenda
vhttp://www.sueddeutsche.de/ausland/artikel/787/86701/
vi Vgl. Heilig, René: Einfach nur im falschen Film? a.a.O., S. 97ff.
vii http://www.arbeiterfotografie.com/bin-laden-vergleich.html

aus: Uli Cremer: Neue NATO: die ersten Kriege, Hamburg 2009, S.75ff

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Der Westen und die Menschenrechte: Tunis, Kairo und Kabul

Den Volksaufstände in Tunesien und Ägypten hatte der Westen nicht bestellt. Sie werfen ein Licht auf die westliche Politik gegenüber islamischen Staaten – auch gegenüber Afghanistan. Die grüne Europapolikerin Franziska Brantner schrieb in der Frankfurter Rundschau:

In … hat sich die Europäische Union jahrelang zum Komplizen des autokratischen und korrupten Präsidenten … gemacht. So hoffte man, Stabilität in der Region zu fördern und den Islamismus zu bekämpfen.

Franziska Brantner meinte die Politik der EU gegenüber Tunesien und Ägypten. In ihrem 7. Menschenrechtsbericht schrieb die damalige CDU/SPD Bundesregierung über Tunesien 2007:

Ein Großteil der Bevölkerung scheint Menschenrechtsdefizite noch als Preis für Stabilität und wirtschaftliche Prosperität zu akzeptieren.

Schön, so sah es die gleichfalls an „Stabilität“ und „Wirtschaft“ interessierte Bundesregierung zufälligerweise auch. Und die Konrad Adenauer Stiftung erklärte noch am 11.11.2010, Tunesien sei ein

ausgezeichneter Partner

Was hat es mit der Politik des Westens gegenüber islamischen Ländern auf sich? Der Journalist Marc Thörner hat in seinem Buch „Der falsche Bart“ in mehreren Länderstudien herausgearbeitet, wie der Westen zu Entstehung und Verbreitung des Islamismus in der arabischen Welt beigetragen hat. Wie Frankreich in Marokko Anfang des 20. Jahrhunderts künstlich einen islamischen Gottesstaat schuf, den es dort nie gab. Wie der Westen Diktatoren an der Macht hält, weil diese angeblich den „Islamismus“ bekämpfen und deshalb den „Extremismus“ geradezu brauchen, damit weiter Millionen aus dem Westen fließen. Thörners Studie „Der Afghanistan Code“ ist vor einigen Monaten erschienen. Doch nicht nur früher unterstützten die USA afghanische Mudschaheddin und verteilten durch die US Hilfsorganisation USAID dschihadistische Bücher als Unterrichtsmaterial in pakistanischen Madrassas. Heute sind diese Mudschaheddin als Provinzgouverneure geschätzte Partner der Bundeswehr im Norden Afghanistans. Wie sehr die heutige NATO Politik in Afghanistan jener französischen Politik in Nordafrika gleicht, kann man in Thörners Artikel in der linkssozialdemokratischen „spw“ nachlesen. Sein Urteil:

Das „Nation Building“, der Aufbau eines modernen Rechtsstaates, wie er bei der Bonner Petersberg-Konferenz konzipiert worden war, steht aus Sicht der Afghanistan-Geberländer längst nicht mehr im Vordergrund. Eher geht es darum, Strukturen zu stärken, die sich bei der vermeintlich „traditionell orientierten afghanischen Bevölkerung“ durchsetzen lassen. Bereits Ende 2007 schien das Paradigma sich vom Nation Building weg zu bewegen, hin zur Stabilisierung eines fundamentalistisch orientierten Systems.

Franziska Brantners Worte passen deshalb ebenso auf Afghanistan. Außenminister Westerwelle kam in seinem Plädoyer für eine Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes am 21.1.2011 im Bundestag ganz ohne jede Menschenrechtsrethorik aus:

Das Ziel unseres internationalen Engagements ist es daher, eine politische Lösung zu erreichen, um Afghanistan nachhaltig und dauerhaft zu stabilisieren, damit es auch in der Zeit nach unserem Engagement nicht wieder Hort und Rückzugsort des Terrorismus gegen die Welt werden kann.

Der grüne Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin meinte deshalb den deutschen Außenminister Westerwelle an die Menschenrechte erinnern zu müssen. Das ist an sich schon bemerkenswert, gilt doch jedenfalls auf grünen Parteitagen der Krieg in Afghanistan als ein einziger Kampf der NATO um die Menschenrechte. Jürgen Trittin mahnte deshalb die Bundesregierung, auf keinen Fall Frieden um jeden Preis zu schließen:

Wir müssen einen politischen Kompromiss finden. Aber, meine Damen und Herren, eine Verhandlungslösung kann nicht losgelöst von Kriterien gefunden werden. Es muss auch bei einem so schwierigen politischen Kompromiss rote Linien geben, was Rechtsstaatlichkeit, Menschen- und Frauenrechte angeht.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Es kann nicht sein, dass man einen Friedensprozess um jeden Preis durchführt, und am Ende zahlen den Preis die afghanischen Frauen. Das kann nicht sein.

Umkehrschluss: dann eben keinen Frieden, sondern weiter Krieg. Doch führt die NATO in Afghanistan Krieg für die Frauenrechte?
Menschenrechte werden – das ahnt auch Jürgen Trittin, sonst wäre seine Mahnung überflüssig – im Diskurs von NATO, EU und USA offenbar je nach Bedarf eingesetzt: mal wird mit ihnen die Legitimität einer Regierung bestritten und ihre Absetzung auch mit militärischer Gewalt gerechtfertigt. Vorwürfe in dieser Richtung hat man im Sudan, Iran oder Kuba zu fürchten und einst eben die Taliban. Kommt Kritik eher ungelegen unterbleibt sie: heute in Kabul ebenso wie gestern in Tunis oder Kairo. Der Asien-Redakteur der taz, Sven Hansen, schrieb deshalb schon am 13.9.2009 zu Afghanistan:

Das Maximum, das der Westen in Afghanistan noch erhoffen kann, ist, einen autoritären Potentaten zu hinterlassen, der getreu dem US-amerikanischen Bonmot „Er ist ein Hurensohn, aber er ist unser Hurensohn“, der die Regierung auf prowestlichem Kurs hält. Sicherheitspolitisch könnte das sogar funktionieren, weil dessen Terror sich dann „nur“ gegen die eigene Bevölkerung und vielleicht noch gegen Nachbarstaaten, nicht aber gegen den Westen richtet.

Könnte funktionieren -oder auch nicht.
Franziska Brantner eingangs zitierte Sätze passen deshalb ohne weiteres auf Afghanistan und lesen sich dann so:

In Afghanistan hat sich die Europäische Union jahrelang zum Komplizen des autokratischen und korrupten Präsidenten Karzai gemacht. So hoffte man, Stabilität in der Region zu fördern und den Islamismus zu bekämpfen

Das hat Franziska Brantner nicht so gesagt.
Sie hatte noch zwei Worte als ihr knappes Urteil über die EU Politik gegenüber Tunesien angefügt. Und auch die passen auf Afghanistan:

Ein Irrtum.

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Was heißt hier Abzug?

Der „Abzug“, von dem so viel die Rede ist, spielt sich wohl eher auf dem Papier als in der Realität ab. Er ist vor allem ein politisches Signal. Das macht ein Blick auf die tatsächlichen Zahlen der in Afghanistan eingesetzten Truppen von NATO und Bundeswehr deutlich.
Die ersten Einzelheiten des Antrags der Bundesregierung für das Afghanistan Mandat sind bekannt geworden. Erst mal bleibt alles beim Alten: die Obergrenze für die Bundeswehrsoldaten bleibt bei 5000 – zusätzlich ist weiterhin eine flexible Reserve von 350 weiteren Kräften vorgesehen. Die Bundesregierung ist

zuversichtlich, im Zuge der Übergabe der Sicherheitsverantwortung die Präsenz der Bundeswehr ab Ende 2011 reduzieren zu können

und will

jeden sicherheitspolitischen vertretbaren Spielraum für eine frühestmögliche Reduzierung nutzen, soweit die Lage dies erlaube und ohne dadurch unsere Truppen oder die Nachhaltigkeit des Übergabeprozesses zu gefährden.

Werden also bald weniger deutsche Soldaten am Hindukusch stehen? Kommt drauf an, wie man rechnet: die Höchstgrenze des Mandats liegt derzeit bei 5350 Soldaten. Die NATO veröffentlicht regelmäßig Zahlen zum Bundeswehreinsatz bezogen auf einzelne Stichtage. So sah es 2010 aus:

5.03.2010: 4335
16.04.2010: 4665
7.06.2010: 4350
6.08.2010: 4590
15.11.2010: 4341
14.12.2010: 4877

Man stellt fest: die Zahl der Soldaten schwankt nicht unerheblich. Mal sind es mehr, mal weniger. Die Höchstzahl von 5350 wurde 2010 nicht erreicht, die “Reserve” von 350 nicht in Anspruch genommen. Die SPD stellt deshalb am 11.1.11 in dem Positionspapier ihres Parteivorstandes fest:

Die flexible Reserve wurde im bisherigen Mandatszeitraum nicht in Anspruch genommen und offenbar nicht benötigt.

Das Ziel der Bundesregierung die Zahl der tatsächlich eingesetzten Soldaten zu verringern, dürfte also 2011 ohne weiteres erreicht werden können – immerhin hatte man auch 2010 vorübergehend die Zahl auch einmal reduziert. Und auf die “Reserve” von 350 Soldaten, die die Bundesregierung ohnehin nie eingesetzt hat, könnte ausdrücklich “verzichtet” werden. Man könnte sie auch erst einmal einsetzen und dann „abziehen“. Aber was hätte sich dann gegenüber 2010 geändert? Gar nichts! Der SPD scheint das aber zu reichen und sie will dem Afghanistan Mandat zustimmen – einschließlich der Reserve, deren Einsatz im Jahr 2011 zunächst einmal eine Erhöhung der eingesetzten Soldaten bedeuten würde. Weil in dem Antrag der Bundesregierung von einem Beginn des Abzugs die Rede ist, stimmt sie erst einmal zu, dass tatsächlich mehr Bundeswehrsoldaten eingesetzt werden können.

Gerade im Norden von Afghanistan kann keine Rede davon sein, dass sich die Zahl der NATO Soldaten dort verringern würde:
Hier die NATO Zahlen für den Bereich des RC North:

20.01.2007 3000
06.02.2008 4000
12.01.2009 4470
01.02.2010 5985
14.12.2010 11000

Die Steigerung im Jahr 2010 ist insbesondere auf 5000 zusätzliche US Soldaten im Norden Afghanistans zurückzuführen und die Zahl der Bundeswehrsoldaten deutlich übersteigt.
Zur Veranschaulichung eine Grafik mit den Zahlen der NATO Truppen im Norden Afghanistans:

Auch da könnte Spielraum für einen “Abzug” gegeben sein. Mit einem “Erfolg” oder einem “Sieg” hätte das wenig zu tun.
Und in den anderen Teilen Afghanistans? Auch dort hat es in jüngster Zeit erhebliche Steigerungen der Truppenzahlen gegeben:

So ist die Rede vom „Abzug“ eher ein politisches Signal: sie kann die GegnerInnen des Krieges beruhigen.
Wilhelm Achelpöhler

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Die Guttenbergs in Afghanistan – keine Geschmacksfrage!

Photo: Ralf Roletschek Wenn Bundeswehrminister zu Guttenberg mit Ehefrau und Talkshowmoderator zum Truppenbesuch nach Afghanistan reist, dann ist das keine Geschmacksfrage, wie Jürgen Trittin meint. Guttenbergs Auftritt in Afghanistan ist ein politisches Signal, das ernst genommen werden sollte – jedenfalls dann, wenn man dem Krieg in Afghanistan ablehnend gegenüber steht.

Das politisches Signal liegt in der Inszenierung selbst: Guttenberg will mit dem Bundeswehreinsatz beim Wahlvolk punkten. Bislang galt: für die politische Prominenz sind Auftritte in Afghanistan eher Pflichtübungen und werden ohne großes Tamtam absolviert. Wahlen gewinnt man nicht wegen, sondern trotz des unpopulären Krieges. Das war das verbreitete Credo und niemand stand dafür mehr als die Bundeskanzlerin: Merkel wurde vor ihrem ersten Besuch 2007 von der Opposition vorgeworfen, sie „meide“ das Land. Die GRÜNE Bundestagsfraktion meinte sogar eigens einen Antrag einbringen zu müssen, mit dem sie Kanzlerin Merkel aufforderte nach Afghanistan zum Truppenbesuch zu reisen. Ein solcher Besuch sei die Pflicht einer Bundeskanzlerin, „die bereit ist zu führen“. Auch nach Merkels zweitem Besuch 2009 hieß es, dieser Besuch sei „überfällig.“

Ganz anders als Bundeskanzlerin Merkel jetzt Bundeswehrminister zu Guttenberg: er geht Afghanistan nicht „verdruckst“, sondern offensiv an. Zu Guttenberg verspricht sich ganz offensichtlich etwas von seinem Auftritt in Afghanistan beim Wahlvolk. Dass man mit Krieg beim Wahlvolk auch punkten kann, hat Margret Thatcher beim Falklandkrieg 1982 ebenso vorgeführt wie George Bush nach dem Golfkrieg 2003. In Deutschland war das bislang anders: hier hatte Gerhard Schröder die Bundestagswahl 2002 nicht zuletzt mit der Ablehnung einer militärischen Beteiligung Deutschlands am Irakkrieg gewonnen. Mit Guttenberg versucht erstmals ein Politiker in Deutschland mit einer offensiven Unterstützung eines Kriegseinsatzes beim Wahlvolk zu punkten. Das ist das eigentliche Politikum von zu Guttenbergs Auftritt.

Der klaren persönlichen Unterstützung für den Bundeswehreinsatz entspricht es, wie zu Guttenberg die Gründe für den Krieg auf eine „Kernbotschaft“ reduziert: „Frauenrechte“? sind nur eine nachgeschobene Begründung. Demokratie in Afghanistan? Eine „Illusion“ Als Gründe bleiben: von afghanischem Boden darf nie wieder ein Krieg Terrorangriff ausgehen und Deutschland muss gemeinsam mit seinen NATO Verbündeten gewinnen. Ein deutscher Sieg ist eben schon für sich eine gute Sache.

Wilhelm Achelpöhler

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Wie erwartet: 2011 kein Abzugsbeginn in Afghanistan

Mitte Oktober hatte die GRÜNE FRIEDENSINITIATIVE schon darauf hingewiesen: „Wir halten jedoch den US-Abzug für keinen Selbstgänger. ISAF-Chef Petraeus relativierte unlängst: „Es sei zum jetzigen Zeitpunkt viel zu früh, um abschätzen zu können, wann der Krieg endgültig zum Erfolg führen werde… Der Termin für den Abzugsbeginn… im Juli 2011 sei … nicht in Stein gemeißelt.“ Und nach der absehbaren Wahlschlappe für die US-Demokraten im November 2010 wird das aktuell gehandelte Datum für den Abzugsbeginn (Juli 2011) wohl auch ganz offiziell kassiert werden, so wie es die militärische Führung eben bereits jetzt verlangt.“

Ein paar Tage nach den US-Wahlen nimmt die entsprechende Kampagne in den USA Fahrt auf. Die FAZ berichtet am 12.11.2010: „Vier einflussreiche Senatoren, die soeben von einem längeren Aufenthalt am Hindukusch zurückgekehrt sind, haben begonnen, in Washington das Terrain in Petraeus‘ Sinn zu bereiten. Die Republikaner John McCain und Lindsey Graham, der Unabhängige Joseph Lieberman und die Demokratin Kirsten Gillibrand zeigten sich beeindruckt von den Fortschritten bei der Befriedung des Landes. McCain, Graham und Lieberman warnten aber eindringlich vor einem Truppenabzug vom Juli an. ‚Es war ein Fehler von Obama, den Abzugstermin auf Juli 2011 festzusetzen‘, sagte McCain. Joseph Lieberman sagte, man solle ‚eher an ein Datum im Jahr 2014 ‚ denken… Verteidigungsminister Gates… prophezeite, dass die Taliban ‚sehr überrascht sein werden, wenn im August, September, Oktober und November kommenden Jahres die meisten amerikanischen Truppen noch immer in Afghanistan sind und hinter ihnen her sein werden‘.“ Die FAZ nennt dies eine „offenbar koordinierte Kampagne der ‚Falken‘ in Regierung und Kongress, um die amerikanische Öffentlichkeit auf ein neues Abzugsdatum vorzubereiten“.

Deutsche Bundesregierung und Deutscher Bundestag (jedenfalls die Mehrheit) sind schon jetzt auf einer Linie mit den US-Republikanern bzw. den US-Falken. Die deutschen BetreiberInnen und UnterstützerInnen des Afghanistan-Krieges haben die Festlegung auf einen Abzugstermin (sogar den Beginn!) bisher gescheut wie der Teufel das Weihwasser. Solange die „Mission“ nicht „accomplished“ ist, soll nicht abgezogen werden. Und bedauerlicherweise ist die Beschlusslage unserer GRÜNEN Partei nicht anders, die 2009er BDK in Rostock hat es ausdrücklich abgelehnt, ein eigenes Abzugsdatum zu benennen. Das heißt übersetzt: Abzug am St.Nimmerleinstag.

Der Abzug der westlichen Truppen aus Afghanistan wird nur kommen, wenn in den westlichen Gesellschaft entsprechender politischer Druck entsteht. Die langjährigen Meinungsmehrheiten reichen dafür nicht aus: Meinen ist Silber, Handeln  ist Gold! Zum Beispiel kann man den aktuellen Aufruf der Friedensbewegung unterschreiben – das geht auch elektronisch (siehe Link auf der Homepage der GRÜNEN FRIEDENSINITIATIVE) und krititsche Diskussionsveranstaltungen zum Afghanistan-Krieg organisieren. Auch Demos und/oder andere Aktionen wird es sicher in den nächsten Monaten wieder geben. Denn Ende Januar 2011 soll der Bundestag die nächste Laufzeitverlängerung für den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan beschließen.

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Kabul-Konferenz und neue Kriegsdokumente

Von Uli Cremer und Wilhelm Achelpöhler (26.Juli 2010)

Nach 9 Jahren Krieg wurde am 20.7.2010 die 9.Afghanistan-Konferenz veranstaltet, diesmal zur Abwechselung in Kabul, also in Afghanistan selbst, ausgerichtet von der afghanischen Regierung und unterstützt von der UNO. Dabei hatten einige Vertreter Schwierigkeiten, die Konferenz zu erreichen, da die Aufständischen Raketen auf den Kabuler Flughafen abfeuerten.

Die erfolgreiche organisatorische Abwicklung der Konferenz darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die militärische Lage sich für die NATO 2010 nicht entscheidend verbessert hat. Das funktionierte spätestens nicht mehr, als wenige Tage später fast 92.000 US-Geheimdokumente über den Afghanistan-Krieg öffentlich wurden. SPIEGEL ONLINE resümiert: Der bei der Kabuler Konferenz „zur Schau getragene Optimismus klingt zynisch angesichts der Schilderungen in den geheimen Dokumenten. Diese zeichnen fast neun Jahre nach Kriegsbeginn ein düsteres Bild.“ (mehr auf der Hompage der Grünen Friedensinitiative)

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Deutscher Afghanistan General fordert Tornados zur Aufstandsbekämpfung

Fliegen bald Tornados Luftangriffe gegen Aufständische in Afghanistan? So will es Brigadegeneral Frank Leidenberger. Der ist nicht irgendwer, sondern Chef des multinationalen Isaf-Regionalkommandos in Nordafghanistan. General Leidenberger äußerte sich in einem Interview mit der Rheinischen Post.

Leidenberger erläutert zunächst die Gründe für den deutschen Einsatz. Da gibt es den humanitären Gesichtspunkt der Hilfe für die Bevölkerung. Ein Grund, der nach Aussage von Bundeskanzlerin Merkel allein den Kriegseinsatz nicht rechtfertigen könnte. Dann geht es um die Terrorismusbekämpfung, die bei Leidenberger gleich in Geopolitik übergeht:

Wie stabil ist Afghanistan? Wie stabil ist damit Zentralasien?

Und schließlich:

Der dritte Grund dreht sich um unsere Rolle in der Nato und in der Welt. Als Mittelmacht und truppenstellende Nation in Afghanistan ist es wichtig, dass Deutschland ein verlässlicher und starker Partner ist und bleibt.

Leidenberger beschreibt den Einsatz recht offen als Aufstandsbekämpfung:

Rein rechtlich handelt es sich hier um einen nicht internationalen bewaffneten Konflikt. In der militärischen Ausprägung betreiben wir „counterinsurgency“, das heißt, wir bekämpfen einen Aufstand.

Für diese Aufstandsbekämpfung fordert Leidenberger den Einsatz der Tornado Kampfflugzeuge, zumal ein NATO Partner, der dabei dauernd auf die Unterstützung der USA angewiesen ist Einsatzziel Nr. 3, sich als starker Partner zu erweisen, nicht ereichen kann:

Warum sollen deutsche Soldaten am Boden nicht von deutschen Flugzeugen aus der Luft unterstützt werden können? Warum brauchen wir unsere Alliierten dazu? Insgesamt, auf die ISAF bezogen, wäre das auch mandatskonform. Wir haben die Fähigkeiten zur luftgestützten Aufklärung bereitgestellt, als das in der Vergangenheit in der Entwicklung des Einsatzes von uns gefordert wurde. So wie sich inzwischen der Charakter dieses Einsatzes verändert hat, so sollten wir auch die hierfür notwendigen Fähigkeiten bereitstellen, um erfolgreich zu sein.

So offen wurde bislang selten die militärische Eskalation des Einsatzes auf den Punkt gebracht. Nicht einmal ein Jahr nach der Bombardierung von Zivilisten am Kundusfluss, dem ca. 100 Menschen zum Opfer fielen, erklärt ein deutscher General: wozu brauchen wir dafür Flugzeuge der Amis. Das können wir selbst.

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Köhler ist weggetreten

Der Wirbel um Köhlers Äußerungen zu Handel und Krieg ist ein Beleg für die Macht des Internet. Denn im Netz nahm die Debatte ihren Anfang. Und damit auch Köhlers Ende.
Köhlers Äußerungen zu Afghanistan in einem Interview am 22.5. wurden vom Deutschlandfunk zunächst nur gekürzt veröffentlicht und sorgten dadurch erst recht für Aufmerksamkeit. Anfangs allerdings nur im Netz, auf verschiedenen Blogs wurden die Audio-Dateien abgetippt und die Passagen verbreitet, die über den Zusammenhang von Wirtschaft und Krieg aufklärten. So auch auf dieser Seite, wo wir den vollen Wortlaut am 23.5. veröffentlichten. Uns bescherten diese Äußerungen ungeahnte Zugriffszahlen. JournalistInnen wie Ulrike Winkelmann von der taz fragten beim Deutschlandfunk nach und dann veröffentlichte auch der Deutschlandfunk den vollständigen Text. Eine öffentliche Welle der Kritik brach über Köhler nieder. Und nun hat er seinen Rücktritt erklärt und damit endgültig seinen Äußerungen bleibenden Wert verschafft. Mit dem historischen Schritt des Rücktritts als Bundespräsident gehen seine Äußerungen in die Geschichte ein.

Köhler hatte mit seinen Äußerungen nicht erklärt, dass in Afghanistan für freie Märkte gekämpft wird. Tatsächlich ist wohl das Gegenteil der Fall, denn Afghanistan, der Weltmarktführer in Sachen Opium hat seinen „Standortvorteil“ weniger in den Witterungsbedingungen, als vielmehr in dem Fehlen staatlicher Strukturen. Die Gesetzlosigkeit ist für diesen Geschäftszweig ein Standortvorteil. Diesen Standortvorteil für den (Rauschgift-)Handel wie für „Terroristen“ will die NATO durch den Aufbau eines staatlichen Gewaltmonopols im Lande beseitigen – ohne dass dabei gleich eine „Westminster Demokratie“ herauskommt. Inzwischen geht es allerdings auch um die NATO selbst. Dieses Bündnis darf nicht verlieren, ohne sich in Frage zu stellen – was immer auch als „Sieg“ definiert wird.

Der Kern von Köhlers Äußerungen war der Hinweis, allein der Tod von Soldaten dürfe kein ausschlaggebendes Argument gegen Militär sein. Angesichts der Bedeutung weltweiten Handels für den Exportweltmeister Deutschland könne der (Not-)Fall nicht ausgeschlossen werden, dass Deutschland seine Interessen mit militärischer Gewalt durchsetzen müsse – bei dem dann leider auch eigene Soldaten umkommen. Köhler hat darauf in einer späteren Passsage Bezug genommen:

Das ist die Realität unseres Lebens heute. Man muss auch um diesen Preis sozusagen seine am Ende Interessen wahren. Mir fällt das schwer das so zu sagen, aber ich halte es für unvermeidlich, dass wir dieser Realität ins Auge blicken.

Köhler spricht damit jenen Punkt an, den die Unterstützern dieser Kriegsführung noch mehr fürchten, als eine Ablehnung dieses Krieges: die Ablehnung von Krieg und Militär überhaupt. Die deutsche Bevölkerung wurde in den Jahren nach 1990 langsam mit einer Armee im Einsatz (wieder) vertraut gemacht. Zunächst waren es kleine Schritte, Sanitätssoldaten in Kambodscha, dann ging es Schritt für Schritt weiter. Inzwischen traut man sich zu sagen: „Deutschland führt Krieg in Afghanistan“. Daran wäre 1990 nicht zu denken gewesen. Bundeskanzlerin Merkel hat an diese Entwicklung in ihrer Regierungserklärung am 22.4. 2010 zufrieden erinnert:

Seit 1990, also seit der Wiedervereinigung und dem Ende des Kalten Krieges, ist unser Land einen beachtlichen Weg gegangen. (…) Schritt für Schritt hat Deutschland international Verantwortung gemeinsam mit unseren Verbündeten in der NATO, in der europäischen Sicherheitspolitik und im Auftrag der Vereinten Nationen auch außerhalb des Bündnisgebietes übernommen.
War es unter den Bedingungen des Kalten Krieges noch völlig undenkbar, so stand die Bundeswehr wenige Jahre nach der deutschen Einheit bereits als Teil von Friedenstruppen in Somalia oder auf dem Balkan. 1999 erfolgte die Beteiligung Deutschlands am Einsatz im Kosovo. Ohne Zweifel, es sind diese Einsätze im Ausland, die heute den Auftrag, die Struktur und den Alltag der Bundeswehr wesentlich bestimmen.

Heute wird Krieg geführt, es wird wieder „gefallen“ und getötet. Und dieser Krieg droht zu scheitern. Daraus ergibt sich die Sorge, ob ein Scheitern des Kriegs in Afghanistan die mühsamen „Fortschritte“ im öffentlichen Bewußtsein seit 1990 aufs Spiel setzt. Die FAZ veröffentlichte eigens zu dieser Frage am 27. Mai 2010 eine Allensbach-Umfrage, die der Frage nachging, ob die Deutschen „nur“ den Einsatz in Afghanistan ablehnen, oder gar die Bundeswehr. Zufrieden stellte man fest:

Nicht die Bundeswehr steht in Deutschland in Zweifel, sondern der Sinn ihres Einsatzes in Afghanistan.

Das war auch Köhlers Sorge und er suchte in einem Argument Zuflucht, das sonst jede Durchschlagskraft in Deutschland hat: „Arbeitsplätze“ und „Einkommenssicherung“. Die zu sichern, dazu müsse im Interesse an „freien Handelswegen“ und zum Schutz vor „regionalen Instabilitäten“ auch Deutschland im Notfall zur Waffe greifen. Doch mit der Begründung der „Sicherung von Arbeitsplätzen“ können konnten zwar Atomkraftwerke gebaut werden, aber nicht Kriege geführt werden. Da hat’s man hierzulande lieber etwas moralischer. Moralische Weihen für einen Krieg, das erwarten viele seiner Kritiker von einem Bundespräsidenten und nicht sachkundige Aufklärungen über den Zusammenhang von Geschäft und Militär durch einen ehemaligen IWF Direktor.

Zur Seite gesprungen ist Köhler allein Verteidigungsminister zu Guttenberg. Nicht ohne Grund. Guttenberg hatte selbst am 12.2.2010 in einer Fernsehdiskussion bei „Phoenix“ die Frage aufgeworfen, ob man in der Vergangenheit nicht zu viel moralischen Aufwand bei der Begründung des Einsatzes Kriegs in Afghanistan betrieben habe. Verteidigungsminister zu Guttenberg wörtlich

haben wir nicht Gründe nachgeschoben, um in schwierigen Momenten auch mal eine Anerkennung unserer Bevölkerung zu bekommen? Natürlich ist es unbestreitbar wichtig, dass man Kindern hilft, dass man Frauen hilft in ihren Rechten und all jenen. … Aber das waren Gründe, die nachgeschoben wurden.

Ausführlicher kann man dies hier in unserem Blog nachlesen.

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