Afghanistan 2014: Was die NATO vom Fußballtrainer Huub Stevens lernen kann
Die NATO-Verteidigungsminister haben einmal mehr deutlich gemacht, dass es 2014 keinen Abzug der NATO aus Afghanistan geben wird. 8.000 bis 12.000 Soldaten sollen bleiben. Dabei handelt es sich nicht um das US-Kontingent, sondern die genannte Spanne umfasst alle NATO-Kontingente, wie der scheidende US-Verteidigungsminister Panetta klar stellte (siehe z.B. SPON 22.2.2013 http://www.spiegel.de/politik/ausland/minister-de-maiziere-gibt-us-truppenstaerke-in-afghanistan-falsch-an-a-885020.html ).
8.000 bis 12.000 Soldaten – das sind weniger als 2011/12 in der Diskussion waren: Damals wurden Zahlen von 35.000 bis zu 40.000 gehandelt (vergl.: http://www.gruene-friedensinitiative.de/texte/120328_NATO-zu_gast_bei_freunden.html ). Aktuell (19.2.2013) sind noch 100.330 NATO-Soldaten in Afghanistan stationiert (Quelle: http://www.nato.int/nato_static/assets/pdf/pdf_2013_02/130220-isaf-placemat.pdf ).
Da seit 2010 vom „Abzug 2014“ schwadroniert wird, sind auch noch 8.000 Soldaten genau 8.000 zu viel für einen „Abzug“. Alle, die vom Abzug aus Afghanistan 2014 sprechen, sollten sich an der Philosophie des früheren Schalker Fußballtrainers, Huub Stevens, orientieren: „Die Null muss stehen!“ Denn 8.000 ist mathematisch größer als 0. Und nur wenn die Null stände, wäre es ein Abzug der NATO. Die deutsche Sprache hält für den geplanten Vorgang den Begriff „Reduktion“ bereit. Die FAZ hat es in ihrer Printausgabe am 23.2.2013 geschafft, den mathematisch-logischen Widerspruch in eine knappe Überschrift zu pressen: „Bis zu 12000 Soldaten nach Abzug in Afghanistan“. Da die NATO-PR-Kampagne „Abzug 2014“ inzwischen solche Blüten treibt, wäre es vielleicht angemessener statt Ausbildungshilfe für die afghanische Regierungstruppen zumindest eine JournalistInnen Ausbildung bezüglich Rechnen und Logik anzubieten. In den entsprechenden Kursus könnte man auch diverse PolitikerInnen integrieren, die das Abzugs-Märchen ebenfalls seit 2010 erzählen und auf Nachfrage zugeben, dass doch noch ein paar Soldaten in Afghanistan aktiv bleiben sollen. Der entsprechende Kursus könnte von Huub Stevens übernommen werden, denn der ist zur Zeit arbeitslos.
Im Oktober 2012 sollte die Post-2014-Mission der NATO in Afghanistan noch ITAM oder ITAAM heißen – als Abkürzung für „International Training, Advisory, and Assistance Mission“. Nun soll man sich schon wieder einen neuen Namen für die neue NATO-Mission merken: „Resolute Support“. Was ist geschehen? „Kenner der Region“ warnten im letzten Jahr „vor möglichen Missverständnissen. Demnach könne der Name bei der lokalen Bevölkerung völlig falsch verstanden werden, da das arabische Wort für Anklage und Schuldzuweisung sehr ähnlich klingt.“ (http://www.spiegel.de/politik/ausland/ausbildung-in-afghanistan-nach-2014-nato-muss-neue-mission-umbenennen-a-869839.html ) Einer der Kenner: der GRÜNE MdB Omid Nouripour. (Warum die Mission nicht weiter ISAF heißt und überhaupt ein neuer Markenname erforderlich ist, wurde im Blog der GRÜNEN FRIEDENSINITIATIVE bereits erklärt: http://blog.gruene-friedensinitiative.de/?p=571 )
Inhaltlich hat sich die Aufgabe der NATO im afghanischen Bürgerkrieg nach 2014 nicht verändert: Sie soll „Training, Ausbildung und Unterstützung“ für die afghanischen Truppen leisten, teilt uns der deutsche Minister de Maizière mit (FAZ 23.2.2013). Etwaige Kampfeinsätze der nach 2014 verbleibenden NATO-Truppen sind dann wohl als „Unterstützung“ zu verstehen. Wie das in der Praxis geht, kann man schon jetzt in Afghanistan besichtigen. Seit Jahresbeginn hat die NATO kaum noch eigenen Verluste zu beklagen (9 Soldaten sind bis zum 23.2.2013 gefallen, im Vorjahreszeitraum waren es über 50). Die Erklärung dafür dürfte sein, dass die NATO ihre Bodentruppen nicht mehr so häufig und intensiv zu Offensiven ausrücken lässt. Militärisch ist sie jedoch als Luftwaffe weiter präsent. Gerade wurden bei einem NATO-Luftangriff im Februar 2013 wieder 10 ZivilistInnen, darunter Frauen und Kinder, getötet. Zur Strafe hat Karzai daraufhin verboten, dass die afghanischen Regierungstruppen in Zukunft „Luftunterstützung“ bei der NATO anfordern. Aber wo sollen sie das sonst tun? Es gibt keine wirklich einsatzfähige afghanische Luftwaffe. Und die militärische Trumpfkarte im Krieg ist die totale Luftüberlegenheit des militärischen Bündnisses aus NATO und Karzai-Regime. Es ist unvorstellbar, diesen Trumpf aufzugeben. Die Aufgabe, Karzai-Luftwaffe zu spielen, wird die NATO solange versehen, bis eventuell einmal die afghanische Luftwaffe voll funktionsfähig ist. Der Plan: Dies soll bis 2016 geschehen sein. Dann soll diese aus 145 Flugzeugen und Hubschraubern bestehen (2012 waren es 68). Mittels der bisher aufgebauten afghanischen Luftwaffe geht man vor Ort übrigens einem lukrativem Nebenerwerb nach: Das Wall Street Journal berichtete, dass die Maschinen für Drogentransporte eingesetzt werden („Afghan Air Force Probed in Drug Running“ 10.3.2012).
Daraus folgt, dass die NATO-Luftwaffe mindestens bis 2016 in Afghanistan tätig sein wird.
Aber zur Militärausbildung, die ja in den letzten Jahren allenthalben hoch im Kurs steht. Westliche Staaten wenden das Rezept inzwischen in vielen Ländern an, nicht nur in Afghanistan. Seit 2006 bildet die EU „Sicherheitskräfte“ für den somalischen Bürgerkrieg aus. Erfolg: „Zwischen 2006 und 2008 bildete das Nachbarland Somalias (gemeint ist Äthiopien, UC) mit finanzieller Unterstützung der EU und der BRD 17.000 somalische Soldaten und Polizisten für die TFG (= Transitional Federal Government, also: die Übergangsregierung) aus. Jedoch konnte bereits im Dezember 2008 nur noch für einen Bruchteil dieser Sicherheitskräfte, nämlich 3.000 Mann, der Nachweis erbracht werden, dass sie noch für die TFG aktiv sind. Der Verbleib der restlichen 14.000 Mann bleibt im Dunkeln. Wie viele von ihnen getötet wurden, desertierten oder zu gegnerischen Gruppen übergelaufen sind, ist unklar…“ (M. Brehm u.a.: Armee im Einsatz, Hamburg 2012, S.154). Mittlerweile bildet die EU mit Beteiligung der Bundeswehr selbst in Uganda aus. Auch in Mali beginnt demnächst eine militärische Ausbildungsmission. Nicht die erste: Ein beträchtlicher Teil der hauptsächlich von den USA aufgebauten und trainierte Armee Malis lief 2012 zu den Aufständischen in Nordmali über. Hauptmann Sanogo, auch von US-Truppen ausgebildet, putschte 2012 gegen die amtierende Regierung.
Zum Glück hat der deutsche Verteidigungsminister ein Rezept. Nämlich: Die Deutschen müssen es selber machen. Auch Deutschland hat in Mali in der Vergangenheit schon Ausbildungserfahrung. De Maizière am 20.2.2013 im Bundestag: „Wir waren mit vier, fünf, sechs Soldaten dabei und haben Pioniere ausgebildet. Ehrlich bzw. etwas arrogant gesagt: Die, die wir ausgebildet haben – wir haben zu ihnen noch ein bisschen Kontakt –, gehören sicherlich zu den Besseren der malischen Streitkräfte, aber es waren eben nur wenige.“
Auch in Afghanistan sind übrigens Ausbildungserfolgsmeldungen der NATO mit großen Fragezeichen zu versehen (vergl. z.B. http://www.gruene-friedensinitiative.de/texte/110102_GFI_Kommentar_AFG.pdf ). Selbst ein eingefleischter Unterstützer des Krieges wie Erler von der SPD beschlichen am 15.12.2011 im Bundestag Zweifel: „Aber wir verfügen nur über vage Daten, was die Qualität und die Schwundquote und damit die Nachhaltigkeit der Einsatzfähigkeit dieser Kräfte angeht.“
Egal, Militärausbildung bzw. Ausbildung polizeilicher Repressionskräfte liegen im Trend. Es ist offenbar eine so tolle Sache, dass militärische Werkzeuge im Grunde schon als zivil gelten. Jedenfalls flossen laut Angaben des afghanischen Finanzministeriums von den 35 Mrd. US-$ internationaler „Entwicklungshilfe“ von 2002 bis 2009 19 Mrd. US-$ in den Sicherheitssektor !!! (Siehe: http://www.imi-online.de/2011/10/28/afghanistan-das-dram-2/ )
In Britannien diskutiert man, ob man nicht noch einen Schritt weiter gehen soll: Premierminister Cameron zeigt sich „offen“ dafür, Kosten für „friedenserhaltende Sicherheits- und Stabilisierungsmaßnahmen“ in Zukunft aus dem Entwicklungshilfeetat zu bezahlen. „Sicherheit sei die Basis, von der aus Entwicklungshilfe erst Wirkung zeigen könne, argumentiert Cameron.“ (FAZ 22.2.2013 „Verteidigung statt Entwicklung“) Nebeneffekt wäre, dass diese Kosten dann auf die jahrzehntelange UN-Vorgabe 0,7% des BIP für Entwicklungshilfe auszugeben angerechnet werden! Es lohnt sich also, in Zukunft die Entwicklungshilfeetats der NATO-Länder genauer anzuschauen.
Uli Cremer