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Köhler ist weggetreten

Der Wirbel um Köhlers Äußerungen zu Handel und Krieg ist ein Beleg für die Macht des Internet. Denn im Netz nahm die Debatte ihren Anfang. Und damit auch Köhlers Ende.
Köhlers Äußerungen zu Afghanistan in einem Interview am 22.5. wurden vom Deutschlandfunk zunächst nur gekürzt veröffentlicht und sorgten dadurch erst recht für Aufmerksamkeit. Anfangs allerdings nur im Netz, auf verschiedenen Blogs wurden die Audio-Dateien abgetippt und die Passagen verbreitet, die über den Zusammenhang von Wirtschaft und Krieg aufklärten. So auch auf dieser Seite, wo wir den vollen Wortlaut am 23.5. veröffentlichten. Uns bescherten diese Äußerungen ungeahnte Zugriffszahlen. JournalistInnen wie Ulrike Winkelmann von der taz fragten beim Deutschlandfunk nach und dann veröffentlichte auch der Deutschlandfunk den vollständigen Text. Eine öffentliche Welle der Kritik brach über Köhler nieder. Und nun hat er seinen Rücktritt erklärt und damit endgültig seinen Äußerungen bleibenden Wert verschafft. Mit dem historischen Schritt des Rücktritts als Bundespräsident gehen seine Äußerungen in die Geschichte ein.

Köhler hatte mit seinen Äußerungen nicht erklärt, dass in Afghanistan für freie Märkte gekämpft wird. Tatsächlich ist wohl das Gegenteil der Fall, denn Afghanistan, der Weltmarktführer in Sachen Opium hat seinen „Standortvorteil“ weniger in den Witterungsbedingungen, als vielmehr in dem Fehlen staatlicher Strukturen. Die Gesetzlosigkeit ist für diesen Geschäftszweig ein Standortvorteil. Diesen Standortvorteil für den (Rauschgift-)Handel wie für „Terroristen“ will die NATO durch den Aufbau eines staatlichen Gewaltmonopols im Lande beseitigen – ohne dass dabei gleich eine „Westminster Demokratie“ herauskommt. Inzwischen geht es allerdings auch um die NATO selbst. Dieses Bündnis darf nicht verlieren, ohne sich in Frage zu stellen – was immer auch als „Sieg“ definiert wird.

Der Kern von Köhlers Äußerungen war der Hinweis, allein der Tod von Soldaten dürfe kein ausschlaggebendes Argument gegen Militär sein. Angesichts der Bedeutung weltweiten Handels für den Exportweltmeister Deutschland könne der (Not-)Fall nicht ausgeschlossen werden, dass Deutschland seine Interessen mit militärischer Gewalt durchsetzen müsse – bei dem dann leider auch eigene Soldaten umkommen. Köhler hat darauf in einer späteren Passsage Bezug genommen:

Das ist die Realität unseres Lebens heute. Man muss auch um diesen Preis sozusagen seine am Ende Interessen wahren. Mir fällt das schwer das so zu sagen, aber ich halte es für unvermeidlich, dass wir dieser Realität ins Auge blicken.

Köhler spricht damit jenen Punkt an, den die Unterstützern dieser Kriegsführung noch mehr fürchten, als eine Ablehnung dieses Krieges: die Ablehnung von Krieg und Militär überhaupt. Die deutsche Bevölkerung wurde in den Jahren nach 1990 langsam mit einer Armee im Einsatz (wieder) vertraut gemacht. Zunächst waren es kleine Schritte, Sanitätssoldaten in Kambodscha, dann ging es Schritt für Schritt weiter. Inzwischen traut man sich zu sagen: „Deutschland führt Krieg in Afghanistan“. Daran wäre 1990 nicht zu denken gewesen. Bundeskanzlerin Merkel hat an diese Entwicklung in ihrer Regierungserklärung am 22.4. 2010 zufrieden erinnert:

Seit 1990, also seit der Wiedervereinigung und dem Ende des Kalten Krieges, ist unser Land einen beachtlichen Weg gegangen. (…) Schritt für Schritt hat Deutschland international Verantwortung gemeinsam mit unseren Verbündeten in der NATO, in der europäischen Sicherheitspolitik und im Auftrag der Vereinten Nationen auch außerhalb des Bündnisgebietes übernommen.
War es unter den Bedingungen des Kalten Krieges noch völlig undenkbar, so stand die Bundeswehr wenige Jahre nach der deutschen Einheit bereits als Teil von Friedenstruppen in Somalia oder auf dem Balkan. 1999 erfolgte die Beteiligung Deutschlands am Einsatz im Kosovo. Ohne Zweifel, es sind diese Einsätze im Ausland, die heute den Auftrag, die Struktur und den Alltag der Bundeswehr wesentlich bestimmen.

Heute wird Krieg geführt, es wird wieder „gefallen“ und getötet. Und dieser Krieg droht zu scheitern. Daraus ergibt sich die Sorge, ob ein Scheitern des Kriegs in Afghanistan die mühsamen „Fortschritte“ im öffentlichen Bewußtsein seit 1990 aufs Spiel setzt. Die FAZ veröffentlichte eigens zu dieser Frage am 27. Mai 2010 eine Allensbach-Umfrage, die der Frage nachging, ob die Deutschen „nur“ den Einsatz in Afghanistan ablehnen, oder gar die Bundeswehr. Zufrieden stellte man fest:

Nicht die Bundeswehr steht in Deutschland in Zweifel, sondern der Sinn ihres Einsatzes in Afghanistan.

Das war auch Köhlers Sorge und er suchte in einem Argument Zuflucht, das sonst jede Durchschlagskraft in Deutschland hat: „Arbeitsplätze“ und „Einkommenssicherung“. Die zu sichern, dazu müsse im Interesse an „freien Handelswegen“ und zum Schutz vor „regionalen Instabilitäten“ auch Deutschland im Notfall zur Waffe greifen. Doch mit der Begründung der „Sicherung von Arbeitsplätzen“ können konnten zwar Atomkraftwerke gebaut werden, aber nicht Kriege geführt werden. Da hat’s man hierzulande lieber etwas moralischer. Moralische Weihen für einen Krieg, das erwarten viele seiner Kritiker von einem Bundespräsidenten und nicht sachkundige Aufklärungen über den Zusammenhang von Geschäft und Militär durch einen ehemaligen IWF Direktor.

Zur Seite gesprungen ist Köhler allein Verteidigungsminister zu Guttenberg. Nicht ohne Grund. Guttenberg hatte selbst am 12.2.2010 in einer Fernsehdiskussion bei „Phoenix“ die Frage aufgeworfen, ob man in der Vergangenheit nicht zu viel moralischen Aufwand bei der Begründung des Einsatzes Kriegs in Afghanistan betrieben habe. Verteidigungsminister zu Guttenberg wörtlich

haben wir nicht Gründe nachgeschoben, um in schwierigen Momenten auch mal eine Anerkennung unserer Bevölkerung zu bekommen? Natürlich ist es unbestreitbar wichtig, dass man Kindern hilft, dass man Frauen hilft in ihren Rechten und all jenen. … Aber das waren Gründe, die nachgeschoben wurden.

Ausführlicher kann man dies hier in unserem Blog nachlesen.

Comments

  1. […] Mehr dazu hier. […]

  2. Wer sorgt denn für das Fehlen staatlicher Strukturen?

    „Die Zerstörung der staatlichen Strukturen Afghanistans nahm schon 1979 ihren Anfang. Der ehemalige CIA-Direktor Robert Gates schrieb in seinen Memoiren, daß die US-Geheimdienste mit der Unterstützung der afghanischen Islamisten bereits sechs Monate vor der sowjetischen Intervention Ende 1979 begonnen haben. Auch der Sicherheitsberater des US-Präsidenten Jimmy Carter, Zbigniew Brzezinski, bestätigte, daß dieser am 3. Juli 1979 die erste Direktive über die geheime Unterstützung für die islamistische Opposition gegen die Regierung in Kabul unterzeichnet hatte.“1

    1Vgl. Les Révélations d’un Ancien Conseiller de Carter, „Oui, la CIA est entrée en Afghanistan avant les Russes…“, in: Le Nouvel Observateur, 15-21.1.1998, S. 76.
    http://www.forumaugsburg.de/s_3themen/Nahmittelost/070703_besetzt/artikel.pdf

    Und wer sorgt dafür, daß dies so bleibt und wer möchte wohl diesen „Standortvorteil“ erhalten?

    Dritter Opiumkrieg
    http://www.zeit-fragen.ch/ausgaben/2010/nr17-vom-2642010/dritter-opiumkrieg/


    Franz P.
    31. Mai 2010
  3. […] Köhler II: von den Blogs in die Presse ins Aus; Köhler ist weggetreten … gruenefriedensinitiative […]

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