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Gab es einen Haftbefehl gegen Osama Bin Laden?

In den letzten Tagen wurde in Deutschland viel über die Liquidierung Bin Ladens diskutiert, insbesondere ob es dabei auch mit rechtstaatlichen Mitteln zugegangen sei. Wenig beleuchtet wurde aber das, was ihm eigentlich exakt vorgeworfen wurde. Hierzu gibt üblicherweise ein Haftbefehl o.ä. Auskunft.

In der Tat gab es in den USA einen solchen Haftbefehl gegen Osama Bin Laden. Interessanterweise suchte ihn aber das FBI bis zu seinem Tode gar nicht wegen der Anschläge vom 11.September 2001! Sondern angelastet wurden ihm:

„Usama Bin Laden is wanted in connection with the August 7, 1998, bombings of the United States Embassies in Dar es Salaam, Tanzania, and Nairobi, Kenya. These attacks killed over 200 people. In addition, Bin Laden is a suspect in other terrorist attacks throughout the world.“

Bis heute ist der entsprechende Steckbrief auf der FBI-Website abrufbar.

Das passt damit zusammen, dass man es seitens der US-Regierung in den letzten 10 Jahren nicht für nötig befand, die Öffentlichkeit mit irgendwelchen gerichtsfesten Beweisen zu versorgen, dass Bin Laden der Drahtzieher des 11.September war. Entsprechende Beweise mögen ja in Washington existieren. Rechtsgläubige Menschen fänden es natürlich angemessen, diese kennenzulernen. Selbst Top-Terroristen sollte man ihr Tun auch nachweisen. Die eigene Behauptung immer nur zu wiederholen, ist rechtstaatlich nicht ausreichend – zumal wenn man einen mutmaßlichen Täter liquidiert, wie vor ein paar Tagen geschehen.

Nun meinen Viele: Mensch, der Bin Laden hat sich doch damals mit Video zu der Tat bekannt. Nein, so einfach ist das leider nicht, wie ein Blick zurück in das Jahr 2001 zeigt:

„Als Drahtzieher der Anschläge wurde der Öffentlichkeit Osama Bin Laden präsentiert. Das klang plausibel, denn Bin Laden ziert seit 1998 die US-Fahndungsplakate. Er wurde vor dem 11.9. für diverse Anschläge verantwortlich gemacht, allerdings fehlen auch hier weiter stichhaltige Beweise für seine Beteiligung am 11.9. Es war nämlich keineswegs so, dass der »Terrorchef« sich zeitnah stolz zu den Anschlägen bekannte, etwa in einer seiner üblichen Videobotschaften, was man eigentlich hätte erwarten können. Im Gegenteil: Am 16.9.2001 ging bei der Nachrichtenagentur AIP in Peshawar (Pakistan) ein Fax ein, in dem Bin Laden die Anschuldigung zurückwies und »kategorisch« erklärte, »dass ich diese Aktion nicht geleitet habe«.[i] Die Aussage muss natürlich nicht der Wahrheit entsprechen, aber Fakt ist, dass er kein eigenes Jubel-Video lancierte.
Diese Aufgabe übernahm vielmehr die US-Regierung selbst, allerdings erst am 13. Dezember 2001 (also zwei Monate nach dem Einmarsch der US-geführten Truppen in Afghanistan). Sie präsentierte ein angeblich privates, nicht zur Veröffentlichung bestimmtes Videoband als »Beweis«. Es war rein zufällig von US-Geheimagenten »in einem leeren Privathaus in der ostafghanischen Stadt Jalalabad gefunden«[ii] worden. Nach 14-tägiger Bearbeitung wurde das Band von der US-Regierung an die Medien gegeben. In dem Video übernimmt Bin Laden gemäß der offiziellen Verschwörungstheorie und entgegen seines öffentlichen Dementis vom 16.9.2001 Verantwortung für die Anschläge: »Wir berechneten die Zahl der Opfer unter den Feinden voraus, wie viele nach der Position der Türme getötet würden. Wir kalkulierten, dass die Zahl der Stockwerke, die getroffen würden, drei oder vier sein würden. Ich war der Optimistischste von allen. Dank meiner Erfahrungen auf diesem Gebiet ging ich davon aus, dass das Feuer nach der Explosion des Flugzeugtreibstoffes die Stahlkonstruktion des Gebäudes schmelzen und die Türme an der Einschlagstelle und oberhalb zum Einsturz bringen würde. Das war alles, was wir erhofft hatten.«[iii]
Außerdem erwähnt Bin Laden Atta als Chef der Operation, auch wenn er sich an seinen Nachnamen nicht erinnern kann: »Mohammed (Atta) von der ägyptischen Familie (die ägyptische Gruppe von Al Kaida) war verantwortlich.«[iv] So wäre dann die Verbindung zwischen den mutmaßlichen Attentätern und dem Hintermann gezogen.
Die Süddeutsche Zeitung bewertete das Video vorsichtig so: »Wegen der sehr schlechten Qualität des Bandes und seiner obskuren Herkunft blieben allerdings weiterhin viele Fragen offen und widersprüchliche Interpretationen möglich.«[v] Andere vermuten sogar, dass es sich um eine Fälschung handelt[vi]. Nicht nur der Text, den die US-Ermittlungsbehörden ‚übersetzt’ haben, wird in Zweifel gezogen. Auch bei der gezeigten Person scheint es sich nicht um den wirklichen Bin Laden zu handeln.[vii]
Außer dem dubiosen Video, dessen Mastertape selbstverständlich unter Verschluss ist, hat die US-Regierung bisher keinen einzigen Beweisversuch unternommen, der belegt, dass Bin Laden mit der Planung der Anschläge befasst war.“

i FAZ vom 17.9.2001 oder auch: http://www.netzeitung.de/spezial/zeitgeschichte/160447.html
ii Heilig, René: Einfach nur im falschen Film? In: Arnold Schölzel (Hrsg.): Das Schweigekartell, Berlin 2002, S. 99
iii Hamburger Abendblatt vom 15.12.2001
ivEbenda
vhttp://www.sueddeutsche.de/ausland/artikel/787/86701/
vi Vgl. Heilig, René: Einfach nur im falschen Film? a.a.O., S. 97ff.
vii http://www.arbeiterfotografie.com/bin-laden-vergleich.html

aus: Uli Cremer: Neue NATO: die ersten Kriege, Hamburg 2009, S.75ff

Comments

  1. […] Das angebliche "Jubelband" tauchte erst viel später auf (Dezember 2001), unter dubiosen Umständen, enthält Übersetzungsfehler und zeigt womöglich gar nicht OBL. […]

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