Categorized under: Allgemein, Syrien

Na nu: Syrische Beobachtungsstelle jetzt vom Kreml unterwandert?

Seit 30.9.2015 bombardiert auch Russland in Syrien mit. Die Opferbilanz nach 7 Wochen: 1300 Menschen getötet, darunter »mindestens 403 Zivilisten. Zugleich traf die russische Luftwaffe demnach 547 mutmaßliche Mitglieder der Terrormiliz „Islamischer Staat“. Außerdem wurden 381 weitere Kämpfer getötet, die der Al-Nusra-Front – dem syrischen Ableger des Terrornetzwerks Al Qaida – sowie anderen Rebellengruppen angehörten.« Das meldete jedenfalls »die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte«, so eine afp-Meldung vom 21.11.2015, die auch die Frankfurter Allgemeine am 22.11.2015 nachdruckte.[i] Ähnlich wie bei Medikamenten („Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“) werden Angaben dieser Quelle inzwischen üblicherweise in deutschen Medien mit einem Zusatz versehen: »Die Angaben sind allerdings von unabhängiger Seite aus nicht zu überprüfen, in der Vergangenheit sind sie aber oft zutreffend gewesen.« (z.B. von Spiegel Online)

Aber: Eine Quelle, die bisher nicht als kreml-nah gilt, meldet also, dass die Russen mehr IS-Kämpfer als andere Rebellen getötet haben! Noch mal für diejenigen, die Prozentangaben präferieren: 59% der von Russland getöteten Kämpfer gehörten demnach dem IS an, nur 41% den diversen Rebellengruppen, darunter auch die Kämpfer der Al Nusra (= lokale Al Qaida Organisation).

Und man muss festhalten, dass das so gar nicht mit dem Mantra zusammenpasst, das man Tag für Tag von den hiesigen Medien, westlichen Regierungen, Mainstream-PolitikerInnen und Nahost-„Experten“ vorgebetet bekommt: „Die Russen bombardieren in Syrien (fast) gar nicht den IS, sondern die gemäßigten Rebellen, die gegen Assad kämpfen.“ So geht die Märchenerzählung. JedeR LeserIn wird Hunderte von Beispielen kennen, insofern dankbar sein, dass hier auf umfangreiche Quellenangaben verzichtet wird, um den Text nicht unnötig zu verlängern.

Manche hatten sich ja auch schon gewundert, dass der IS sich damit rühmte, das russische Zivilflugzeug über dem Sinai abgeschossen zu haben, wo doch den lieben langen Tag berichtet wurde, dass Putin den IS gar nicht militärisch bekämpfte. Wieso konnte da ein russisches Flugzeug zum Angriffsziel werden?

Besonders verstörend bzw. deprimierend ist allerdings, dass (zumindest einzelne) FAZ-Redakteure ihre eigene Zeitung nicht lesen. Gerade mal einen Tag nach dem Nachdruck obiger afp-Meldung, leierte der Korrespondent Markus Wehner in der Sonntagsausgabe das bekannte Mantra wieder herunter: »Dass die russischen Angriffe vor allem gemäßigtere Anti-Assad-Kräfte trafen, verstärkte das Misstrauen in Washington und in Paris.« (FAS 22.11.2015) Ob es in Sachen Lese- und Lernfähigkeit bei der Konkurrenz von Süddeutscher, Welt oder Zeit besser aussieht, werden die nächsten Tage zeigen…

Uli Cremer (Grüne Friedensinitiative)

Hamburg, 22.11.2015

 

Nachtrag: Für interessierte LeserInnnen hier noch ein Lesetipp. Aus den Reihen der Grünen Friedensinitiative gibt es eine detaillierte Bewertung der russischen Luftangriffen in Syrien:

http://www.gruene-friedensinitiative.de/cms/syrien-russische-intervention-als-game-changer/

 

[i] Auch ZEIT, Welt, ntv, Süddeutsche und andere brachten die Meldung, hier beispielhaft der Link zur Schweizer NZZ, der auf einer analogen dpa-Meldung basiert: http://www.nzz.ch/international/syrische-aktivisten-sprechen-von-1300-toten-durch-russische-luftangriffe-1.18649906

RSSAbonnier' uns