Ukraine: Von Konvois, Militärhilfe und Propaganda
Nach den irakischen und syrischen Kurden fordert nun auch die ukrainische Poroschenko-Regierung Militärhilfe aus dem Westen: »Wir brauchen militärische Hilfe. Denn wenn solche Hilfe kommt, dann wäre es für unsere Truppen leichter, vor Ort zu agieren.«[i] So der Kiewer Außenminister Klimkin am17.8.2014.
Wenn in Deutschland das Tabu Waffen in Spannungsgebiete zu liefern – sogar auch an einzelne Milizen – endgültig fällt, könnten natürlich in Zukunft für jeden beabsichtigten Regime Change Waffen geliefert werden. Zumindest wenn die Notwendigkeit der Schutzverantwortung überzeugend vorgebracht würde.
Aber könnte dann auch die ukrainische Armee Waffen für den Bürgerkrieg erhalten? Klimkin kann schließlich schlecht mit „Schutzverantwortung“ argumentieren. Andererseits ist die Ukraine mit dem Westen verbündet, hat inzwischen das EU-Assoziationsabkommen unterzeichnet und zählt somit zu den „Guten“. Daran ändern auch Luftangriffe und Artilleriefeuer auf die eigene Bevölkerung nichts. All das bestreitet die ukrainische Zentralregierung natürlich, da können die von Human Rights Watch oder Amnesty International schreiben und belegen was sie wollen. Wenn das Assad-Regime in Syrien jedoch die eigene Bevölkerung mit Luftangriffen und Artillerie traktiert, ist natürlich in Medien und Politik die Argumentation mit der Schutzverantwortung sofort zur Hand. Wie in Kiew wird auch in Damaskus behauptet, dass man im Bürgerkrieg gegen Terroristen kämpft, die aus dem Ausland unterstützt würden. Sonst hätte man sie schon längst besiegt. In der Tat erhalten die syrischen Aufständischen seit Jahren Unterstützung aus dem Westen und den arabischen Ländern – mit der Ausnahme der kurdischen Kämpfer im Norden. Auch Tonnen westlicher Waffen sind geliefert worden[ii]. Die Grenzen zur Türkei und Jordanien sind ebenso undicht wie die Grenze zwischen Russland und der Ukraine, so dass es den syrischen Rebellen und den Separatisten in Donezk und Lugansk nicht an Nachschub mangelt. Wobei in beiden Konflikten die spannende Frage ist, inwieweit offizielle türkische bzw. russische Stellen den Nachschub selbst organisieren oder nur die Grenzbeamten eigeninitiativ oder auf Befehl wegsehen.
Erhielten die Separatisten in der Ostukraine keine externe Unterstützung durch Söldner und Waffen, wären sie den ukrainischen Streitkräften und Milizen unterlegen und würden den Bürgerkrieg schnell verlieren. Insofern lautet eine Kiewer Vorbedingung für einen Waffenstillstand, die Grenze sei zuvor abzuriegeln. Am besten sollten die Bürgerkriegsgegner gleich kapitulieren und natürlich ihre „Geiseln“ freilassen. So werden die „Kriegsgefangenen“ genannt, da ja die Separatisten nicht als staatliche Institution angesehen werden. Wenn diese (wie die Kiewer Zentralregierung auch) „Kriegssteuern“ zur Finanzierung ihrer militärischen Aktivitäten erheben, spricht man in Kiew von „Schutzgeldzahlungen“.
Im Zentrum der Kiewer Propaganda steht jedoch die poröse Grenze bzw. die Unterstützung der Separatisten aus Russland. Diese war zwar in den letzten Wochen qualitativ nicht besonders gut, aber trotzdem sehr erfolgreich. Auf den Abschuss der MH17, bei dem Kiew in Erklärungsnot geraten ist, soll auf dieser Stelle nicht erneut eingegangen werden.[iii]
Erfolgreich deswegen, weil egal, was aus Kiew vermeldet wird, dies in der Regel unbeanstandet den schnellen Weg in westliche Medien und Politik findet, zumal aller Unsinn auch den Gütesiegel der NATO bzw. des NATO-Generalsekretärs erhält und so quasi „seriös“ daherkommt. Schließlich ist die NATO eine mächtige westliche Institution, der die meisten westlichen BürgerInnen großes Vertrauen entgegen bringen.
Werfen wir einen Blick auf die kuriosen letzten beiden Fälle: den riesigen russischen Hilfskonvoi und den am 15.8. vernichteten russischen Militärkonvoi.
1) Russischer Hilfskonvoi – ein trojanisches Pferd?
Seit Tagen wird über einen russischen Hilfskonvoi für Lugansk berichtet. Dieser startete in Moskau und durfte beim Abfassen dieser Zeilen immer noch nicht die Grenze in die Ukraine passieren.
Die Propagandabehauptung war nun, der Konvoi sei ein trojanisches Pferd, habe also unter Wasserflaschen und Babynahrung Kalaschnikows geladen. Sogar sonst kritische Karikaturisten fielen auf die plumpe Behauptung rein. Inzwischen hat die Kiewer Regierung den Konvoi großzügig als „Hilfskonvoi“ anerkannt und damit die eigene Räuberpistole dementiert. Verblüffend ist, dass insbesondere der deutsche „Qualitätsjournalismus“ die eigentlich naheliegende Frage nicht stellt(e): Warum sollte Russland in Gottes Namen ausgerechnet einen Hilfskonvoi benutzen, um Waffen an die Separisten zu liefern? Die Grenze ist doch offensichtlich so porös, dass in den letzten Monaten problemlos militärischer Nachschub an die Separatisten fließen konnte. Dazu bedarf es offenbar keines Hilfskonvois als Tarnung. Die Aktion wäre völlig irre, zumal der Konvoi unter genauer öffentlicher Beobachtung steht.
Vielmehr handelte es sich eigentlich um einen cleveren Schachzug der Moskauer Propaganda: Man kann seit Tagen beweisen, dass die Kiewer Zentralregierung der Schutzverantwortung gegenüber ihrer Bevölkerung in Lugansk nicht nachkommt und sie hungern und dursten lässt. Allerdings gelangte der Schachzug nicht bis in die westlichen Mainstreammedien, da diese sich vollständig der Kiewer Version anschlossen. Eine vernünftige Erklärung, warum „Putin“ oder die „russische Führung“ irgendetwas tut, muss offenbar inzwischen nicht mehr geliefert werden. Schließlich ist Putin „undurchschaubar“[iv]. Da kann man sich Nachdenken und Fragenstellen sparen.
Während üblicherweise mit Soldaten, Panzern und anderen Waffen „einmarschiert“ wird, kann man heutzutage in der Ukraine ohne derartiges Personal und derartige Ausrüstungen „einmarschieren“. Laut SPON wäre ein von Kiew nicht genehmigte Fahrt des Konvoi über die Grenze »ein unerlaubter Grenzübertritt von 287 Lastwagen, der einem Einmarsch gleichkäme«.[v]
2) Russischer Militärkonvoi auf ukrainischem Gebiet vernichtet?
Während der Hilfskonvoi also tagelang nicht „einmarschierte“, sondern auf russischem Gebiet feststeckte, wurde die Behauptung gestreut, ein russischer Militärkonvoi aus 23 Fahrzeugen habe die Grenze passiert. Quelle: Zwei britische Reporter. Der NATO-Generalsekretär »bestätigte die Verletzung der ukrainischen Grenze durch russische Militärfahrzeuge« und »sprach von einem „russischen Einfall“« (FAZ 16.8.2014) Das Büro von Poroschenko und das ukrainische Militär rühmten sich sodann, die meisten Fahrzeuge zerstört zu haben und zwar mittels Artillerie. Die OSZE konnte diesen Vorfall nicht bestätigen und merkwürdigerweise gibt es auch keine Bilder der zerstörten Fahrzeuge. Russland nennt die Angelegenheit „Fantastereien“.
Politisch bedeutsam dabei laut taz vom 16.8.2014: »Der Angriff wäre die erste direkte Konfrontation zwischen ukrainischem und russischem Militär in der gegenwärtigen Krise.«
Auch hier wird nie die Frage nach dem militärischen Sinn gestellt. Warum sollten die russischen Streitkräfte an einer Stelle mit nur einem Konvoi die direkte militärische Auseinandersetzung mit den Kiewer Streitkräften suchen bzw. riskieren? Die eine Stelle läge auch noch in der Nähe des Grenzübergangs Donezk, der zum fraglichen Zeitpunkt wegen des Hilfskonvoi von zahlreichen internationalen Reportern bevölkert war. Die entsprechende „Strategie“ wäre im Grunde völlig irre. Was auch für die gelten würde, die sich eine solche „Strategie“ ausgedacht hätten – also die russische Militärführung. Zur Erinnerung: Das wäre die gleiche, die noch vor fünf Monaten die Eingliederung der Krim militärisch und logistisch professionell abwickelte.
Wenn also tatsächlich die ukrainische Luftwaffe oder auch Artillerieverbände einen Militärkonvoi in der Ostukraine getroffen und vernichtet hätten, wäre die einzig sinnvolle Erklärung, dass es sich um einen „privaten“ Militärkonvoi aus Russland handelte. Dieser wäre (wie viele Konvois zuvor) von russischen Grenzschützern nicht aufgehalten worden. Eine neue politische und militärische Qualität wäre das natürlich nicht.
Für die Kiewer Zentralregierung ist die Sache praktischerweise durch: Die westlichen Medien haben wie gewünscht berichtet, der Propaganda-Coup ist gelungen. Schließlich ist die Schutzmacht Kiew zur Seite gesprungen und beklagt »eine „anhaltende Militärintervention“… Jedes russische Vordringen auf ukrainisches Gebiet ohne Erlaubnis der Regierung in Kiew sei inakzeptabel, sagte Caitlin Hayden, Sprecherin des nationalen Sicherheitsrats. Russland müsse zudem den Beschuss der Ukraine von russischem Gebiet aus sowie den Strom an Waffen, Geld und anderer Form an Hilfe für die Separatisten in der Ost-Ukraine stoppen.«
So ist erfolgreich abgelenkt, und es müssen keine Beweise erbracht werden. Fakten zum angeblich am 15.8.14 vernichteten russischen Militärkonvoi kann man aus Washington nicht beitragen: »Ukrainische Berichte über die teilweise Zerstörung eines auf ukrainisches Gebiet vorgedrungenen russischen Militärkonvois konnte Hayden – anders als die NATO- nicht bestätigen. Washington bemühe sich um weitere Informationen.«[vi]
Die Hoffnung, dass man von diesen Bemühungen noch hört, sollte wohl besser nicht hegen.
Uli Cremer
Hamburg, 19.08.2014
[i] http://www.deutschlandfunk.de/ukraine-wir-brauchen-militaerische-hilfe.868.de.html?dram:article_id=294787
[iii] Siehe dazu: http://www.gruene-friedensinitiative.de/cms/abschuss-der-mh17-kiew-geraet-in-erklaerungsnot/