Categorized under: Allgemein

Deutschlands Sicherheit als Kriegsgrund – etwas juristisch betrachtet

Mit ihrer Regierungserklärung vom 22.April 2010 bemüht Bundeskanzlerin Merkel erneut das Wort von Peter Struck, „Deutschlands Sicherheit wird am Hindukusch verteidigt – wir wollen der Stichhaltigkeit dieses Arguments anhand der Rechtsprechung nachgehen. Zunächst die Bundeskanzlerin, nachzulesen im Protokoll:

Dass afghanische Frauen heute mehr Rechte als früher haben, dass Mädchen zur Schule gehen dürfen, (…) ist das Ergebnis unseres Einsatzes in Afghanistan. (…) Dadurch alleine könnte der Einsatz unserer Soldaten dort aber nicht gerechtfertigt werden. In so vielen anderen Ländern dieser Welt werden die Menschenrechte missachtet, werden Ausbildungswege verhindert, sind Lebensbedingungen katastrophal – und trotzdem entsendet die internationale Gemeinschaft keine Truppen, um sich dort militärisch zu engagieren.
(…)
Nein, in Afghanistan geht es noch um etwas anderes. Der berühmte Satz unseres früheren Verteidigungsministers Peter Struck bringt das für mich auf den Punkt. Er sagte vor Jahren:
Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt.

Die „Sicherheit Deutschlands verteidigen“, das kann man sich zunächst in dem ganz einfachen Sinn vorstellen, dass Deutschland von Afghanistan aus bedroht wird und mit militärischen Mitteln diese Gefahr „vor Ort“ bekämpft wird. Damit stellt sich die Frage: wird Deutschlands Sicherheit von Afghanistan aus in einer Weise bedroht, dass Deutschland seine Sicherheit dort verteidigen muss? Geht also von Afghanistan eine Gefahr aus? Um genau diese Frage ging es nach dem 11. September 2001 in mehreren Gerichtsverfahren.
Die nach dem 11. September 2001 in allen Bundesländern von den Polizeibehörden eingeleitete „Rasterfahndung“ beschäftigte alsbald die Gerichte. Mit einem Datenabgleich sollte die Spur von Terroristen – sog. „Schläfern“ – gefunden werden, um zu verhindern, dass diese weitere Terroranschläge verüben. Nach den Polizeigesetzen der Länder setzt eine solche Rasterfahndung eine „Gefahr“ voraus. Die Gerichte mussten also prüfen, ob eine Gefahr für die Sicherheit gegeben war. Das Landgericht Düsseldorf ging von einer solchen Gefahr aus und beschrieb in einem Beschluss vom 29.10.2001 die Ursache so – wir veröffentlichen diese Entscheidung erstmals:

Es besteht eine gegenwärtige Gefährdung für die Sicherheit des Bundes oder eines Landes im Sinne der genannten Vorschrift. Gegenwärtig ist danach eine Gefahr, wenn das schädigende Ereignis bereits begonnen hat, oder wenn die Störung in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintritt ( vgl. Kay/Böcking, Polizeirecht in NRW, B RN 93 ). Diese Ausnahme ist aufgrund der Anschläge vom 11.09.01 in New York und der sich daraus ergebenden Reaktionen gerechtfertigt. Dies ergibt sich bereits daraus, dass seitens der Bundesregierung die uneingeschränkte Solidarität -.ggf. auch mit militärischen Mitteln – mit dem Vorgehen der Vereinigten Staaten wiederholt bekundet wurde und dass seitens der hinter den Anschlägen vom 11.09.2001 vermuteten Organisation spätestens seit der Militäraktion gegen Afghanistan Vergeltungsschläge gegen die an den militärischen Aktionen beteiligten Staaten angekündigt wurden.

Grund der Gefährdung Deutschlands ist nach dieser Entscheidung mithin die Kriegsbeteiligung Deutschlands – und nicht umgekehrt. Nach dieser Gerichtsentscheidung verhält es sich mit Ursache und Wirkung also genau umgekehrt wie es die Kanzlerin dargestellt: nicht die Gefährdung Deutschlands nötigt zum Krieg, sondern der Krieg gefährdet Deutschlands Sicherheit.

Einige Jahre später korrigierte das Bundesverfassungsgericht mit dem Beschluss vom 4.4.2006 das Landgericht Düsseldorf. Zunächst stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass der Eingriff in die Grundrechte durch die Rasterfahndung so schwerwiegend ist, dass nicht irgendwelche Gründe ausreichen, um diesen Eingriff zu rechtfertigen:

Das Gewicht der mit der Durchführung einer Rasterfahndung einhergehenden Grundrechtseingriffe, deren Voraussetzungen zudem gesetzlich nicht eng umschrieben worden sind, ist so hoch, dass der Gesetzgeber die Maßnahme zum Schutz der hochrangigen Rechtsgüter des § 31 Abs. 1 PolG NW 1990 nur bei Vorliegen einer konkreten Gefahr vorsehen darf. (…)

Aber wann liegt eine solche „konkrete Gefahr“ vor? Diese Frage beantwortete das Bundesverfassungsgericht so:

Die für die Feststellung einer konkreten Gefahr erforderliche Wahrscheinlichkeitsprognose muss sich auf Tatsachen beziehen. Vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen ohne greifbaren, auf den Einzelfall bezogenen Anlass reichen nicht aus (vgl. BVerfGE 44, 353 ; 69, 315 ). (…)

Für eine solche „konkrete Gefahr“ reicht aber der Verweis auf den „Terrorismus“ nicht – es muss schon etwas „konkreter“ sein:

Für die Annahme einer etwa von so genannten terroristischen Schläfern ausgehenden konkreten Dauergefahr sind daher hinreichend fundierte konkrete Tatsachen erforderlich.

Das Bundesverfassungsgericht hält es auch durchaus für möglich, dass durch „außenpolitische Spannungslagen“ (vulgo: Krieg) die Gefahr terroristischer Anschläge in Deutschland steigt, für eine Rasterfahndung reicht das aber nicht:

Außenpolitische Spannungslagen, die von terroristischen Gruppierungen zum Anlass von Anschlägen gewählt werden können, gibt es immer wieder, und sie können lange anhalten. Insofern ist es praktisch nie ausgeschlossen, dass terroristische Aktionen auch Deutschland treffen oder dort vorbereitet werden können. Eine derartige allgemeine Bedrohungslage, wie sie spätestens seit dem 11. September 2001, also seit nunmehr über vier Jahren, praktisch ununterbrochen bestanden hat, oder außenpolitische Spannungslagen reichen für die Anordnung einer Rasterfahndung nicht aus. Der durch die Rasterfahndung bewirkte Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung setzt vielmehr das Vorliegen weiterer Tatsachen voraus, aus denen sich eine konkrete Gefahr ergibt, etwa weil tatsächliche Anhaltspunkte für die Vorbereitung terroristischer Anschläge oder dafür bestehen, dass sich in Deutschland Personen für Terroranschläge bereithalten, die in absehbarer Zeit in Deutschland selbst oder andernorts verübt werden sollen.

Also: eine „allgemeine Bedrohungslage“ reicht nicht aus, um eine Rasterfahndung zu rechtfertigen, die Gefahr muss vielmehr durch konkrete Tatsachen belegt werden. Das Verfassungsgericht wies auf die Folgen für die Bürgerrechte hin, würde eine allgemeine „Terrorismusgefahr“ ausreichen, um die Rasterfahndung zu erlauben:

Wäre Bezugspunkt der Rasterfahndung etwa eine allgemeine Terrorismusgefahr und würde diese somit zum Bezugspunkt der Konkretisierung der Art der Daten, die von der Polizei benötigt werden, wäre eine nahezu grenzenlose Ermächtigung geschaffen

Lag nun eine solche „konkrete Gefahr“ im Jahr 2001 vor? Gab es „konkrete Tatsachen“, die eine konkrete Gefahr begründen? Das Bundesverfassungsgericht konnte diese Tatsachen den Gerichtsentscheidungen nicht entnehmen:

Sind (…) „konkrete Anzeichen für Terroranschläge in Deutschland nicht bekannt“, sondern besteht lediglich eine auf Vermutungen beruhende „Möglichkeit solcher Anschläge“, dann handelt es sich bei der dennoch durchgeführten Rasterfahndung um eine Maßnahme im Vorfeld der Gefahrenabwehr, nicht aber um die Abwehr einer konkreten Gefahr. (…) Die zur Begründung der derart herabgesenkten Wahrscheinlichkeitsanforderungen herangezogene Tatsachenbasis war vorliegend zu diffus, um eine konkrete Gefahr bejahen zu können.

Auch die als „außenpolitische Spannungen“ beschriebene Intervention in Afghanistan reichte dem Bundesverfassungsgericht als Begründung ausdrücklich nicht:

So wurden außen- und sicherheitspolitische Ausgangstatsachen angeführt, die zwar – wie der Militärschlag der Vereinigten Staaten von Amerika in Afghanistan und die Drohung des Botschafters dieses Landes mit Vergeltungsschlägen – Ausweitungen der militärischen Auseinandersetzung, gegebenenfalls auch terroristische Anschläge hätten verursachen können. Es gab jedoch keine über diese allgemeine Lage hinausgehenden Erkenntnisse über konkrete Gefährdungen oder speziell über Anschläge oder Anschlagsvorbereitungen gerade in Deutschland. (…)

Rufen wir uns den Ausgangspunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Erinnerung: Weil der Eingriff in die Rechte der Bürger durch die Rasterfahndung erheblich ist, darf sie nur bei einer „konkreten Gefahr“ durchgeführt werden und nicht auf Grund irgendwelcher Vermutungen. Eine solche „konkrete Gefahr“ hatten die Gerichte aber nicht festgestellt. Weder gab es konkrete Hinweise auf Schläfer, noch konkrete Hinweise auf drohende Anschläge im Zusammenhang mit dem Krieg in Afghanistan. Die Eingriffe in Bürgerrechte durch die Rasterfahndung waren deshalb nicht zu rechtfertigen.
Mit dieser Erkenntnis kann man nunmehr prüfen, ob das Argument, mit dem die Kanzlerin den Krieg in Afghanistan rechtfertigt, stichhaltig ist., Man sollte meinen, was zur Rechtfertigung polizeilicher Maßnahmen im Inland vom Verfassungsgericht gefordert wird – das sollte erst recht für militärische Maßnahmen im Ausland zu fordern sein. Doch man stellt fest:
Was für einen Datenabgleich in Deutschland nicht reicht – für einen Krieg in Afghanistan soll es ausreichen:
Bundesregierung und ihre Kanzlerin rechtfertigen mit der „Gefahr durch den Terrorismus“ einen inzwischen ins neunte Jahr gehenden Krieg! Zur Gefahrenabwehr ist ein Datenabgleich verboten, ein Krieg soll hingegen erlaubt sein. Dabei geht es bei einem Krieg um Fragen von Leben und Tod, nicht um das informationelle Selbstbestimmungsrecht. In einem Krieg werden Soldaten in Lebensgefahr gebracht und kommen darin um, in einem Krieg werden Aufständische getötet und gefangen genommen, in einem Krieg leidet die Zivilbevölkerung und kommen Tausende ums Leben All diese Schäden für Leib und Leben sollen zulässig sein, wo ein Datenabgleich wegen der Schäden für das informationelle Selbstbestimmungsrecht unzulässig ist.
Wenn ohne „konkrete Gefahr“ ein Datenabgleich, der verhältnismäßig billig ist und bei dem niemand ums Leben kommt nicht gerechtfertigt ist, muss das dann nicht erst recht bei einem Krieg gelten? Ein Krieg bei dem bislang über 1500 alliierte Soldaten, zehntausende Zivilisten und eine unbekannte Zahl von Aufständischen ihr Leben verloren haben und der zudem Milliarden Euros und Dollars kostet.
Legt man den Maßstab, den das Bundesverfassungsgericht für die Zulässigkeit eines Datenabgleich im Inland aufstellt hat, an den Krieg in Afghanistan an, dann kann dieser Krieg erst recht nicht mit der „Abwehr von Gefahren durch den Terrorismus“ gerechtfertigt sein.

Wir halten fest: der Kampf um Frauenrechte reicht nach den Worten der Kanzlerin ohnehin nicht aus, um den Krieg in Afghanistan zu begründen. Die Abwehr von Gefahren durch den Terrorismus kann ihn gleichfalls nicht begründen.

Doch der Kanzlerin und der Bundestagsmehrheit geht es bei der „Verteidigung der Sicherheit“ um mehr, wie sie in ihrer Regierungserklärung offen legt:
Es fängt an mit der Globalisierung:

Doch so wenig man die Globalisierung abschaffen kann – was ich nicht will, was aber auch gar nicht ginge, selbst wenn man es wollte –, so wenig dürfen wir in unseren Anstrengungen
nachlassen, den Gefahren für das Recht, die Sicherheit und die Freiheit unseres Landes dort zu begegnen, wo sie entstehen.

Wegen der Globalisierung müssen „Gefahren für das Recht“ dort bekämpft werden, wo sie entstehen – und sei es in den entferntesten Weltregionen. Die Kanzlerin verweist darauf, dass

sich unter den Bedingungen der Globalisierung die Herausforderungen an unsere Sicherheitspolitik nach dem Ende des Kalten Krieges drastisch gewandelt haben. Es wird in Zukunft weit weniger als bisher um Konflikte zwischen Staaten gehen. Es sind die asymmetrischen Konflikte, die unsere sicherheitspolitische Zukunft dominieren werden….Es sind Piraten vor der Küste Somalias, die mit räuberischen Attacken unsere Handelswege in Gefahr bringen. Es sind die Gefahren, die nicht dem klassischen, dem gewohnten Muster von Konflikten und Kriegen entsprechen, die auch aus weiter Entfernung in Windeseile direkt zu uns gelangen können.

Die Sicherung der Handelswege, die Sicherung des Rechts, das verweist darauf, dass im Zeitalter der Globalisierung die Interessen einer Wirtschaftsmacht weltweit sind und deshalb diese Interessen auch weltweit der Beachtung bedürfen und ins Recht gesetzt werden – und dieses Recht notfalls militärisch durchgesetzt werden muss. In diesem Sinne ist der Einsatz des Militärs auch “ultima ratio” und die Kanzlerin begründet eine neue „Staatsräson“:

Militärische Zurückhaltung und der Einsatz militärischer Mittel als Ultima Ratio – das ist Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland, und zwar verbunden mit der politischen Verantwortung, die wir aufgrund unserer wirtschaftlichen Stärke, unserer geografischen Lage im Herzen Europas wie auch als Mitglied unserer Bündnisse wahrnehmen.

“Der Einsatz militärischer Mittel als Ultima Ratio – das ist die Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland” – nur naive Geister sehen darin einen wertvollen Hinweis auf den Krieg als letztes Mittel der Politik. Es ist nichts anderes als die Definition Deutschlands als einer selbstverständlich weltweit militärisch intervenierenden Macht.

Deutschland als Militärmacht im Einsatz, das ist als Merkels Sicht deshalb nicht Ansichtsache oder Diskussionsthema, sondern nicht verhandelbar, eben Staatsräson.

Doch die Rolle als weltweite Ordnungsmacht, das ist auch für ein Land mit der wirtschaftlichen Stärke Deutschland allein etwas viel – Deutschland ist auf Bündnisse angewiesen:

Wir sind eingebunden in die Partnerschaft mit den Verbündeten in der Europäischen Union und der NATO. Alleine vermögen wir wenig bis nichts auszurichten. In Partnerschaften dagegen schaffen wir vieles.

Dieses Bündnis gefährdet, wer den Krieg beenden will.

Wer deshalb heute den sofortigen, womöglich sogar alleinigen Rückzug Deutschlands unabhängig von seinen Bündnispartnern aus Afghanistan fordert, der handelt unverantwortlich. Nicht nur würde Afghanistan in Chaos und Anarchie versinken, …

…freilich sind Chaos und Anarchie ebenso wie Frauenrechte sicher kein ausreichender Grund für ein weiteres Engagement der Bundeswehr. Nein, die Gefahren, die sich für Deutschland ergeben, wenn man sich einseitig zurück zieht, sind weit größer, gefährdet wäre das Bündnis und damit der einzige eigene Weg zur neuen Rolle als Ordnungsmacht:

…auch die Folgen für die internationale Gemeinschaft und ihre Bündnisse, in denen wir Verantwortung übernommen haben, und für unsere eigene Sicherheit wären unabsehbar. Die internationale Gemeinschaft ist gemeinsam hineingegangen; die internationale Gemeinschaft wird auch gemeinsam hinausgehen.

In diesem Sinne ist der Krieg in Afghanistan, der insbesondere auf Initiative Deutschlands zur Sache der NATO wurde und damit als Bündniskrieg geführt wird, ein weiterer Meilenstein auf Deutschlands Weg aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit nach 1945 hin zu einer selbstbewussten militärisch agierenden Macht, wie Merkel zufrieden feststellt:

Seit 1990, also seit der Wiedervereinigung und dem Ende des Kalten Krieges, ist unser Land einen beachtlichen Weg gegangen. (…) Schritt für Schritt hat Deutschland international Verantwortung gemeinsam mit unseren Verbündeten in der NATO, in der europäischen Sicherheitspolitik und im Auftrag der Vereinten Nationen auch außerhalb des Bündnisgebietes übernommen.
War es unter den Bedingungen des Kalten Krieges noch völlig undenkbar, so stand die Bundeswehr wenige Jahre nach der deutschen Einheit bereits als Teil von Friedenstruppen in Somalia oder auf dem Balkan. 1999 erfolgte die Beteiligung Deutschlands am Einsatz im Kosovo. Ohne Zweifel, es sind diese Einsätze im Ausland, die heute den Auftrag, die Struktur und den Alltag der Bundeswehr wesentlich bestimmen.

Doch trotz dieser Erfolgsgeschichte beim Weg in den Krieg gibt es Anlass zur Sorge: Hält die Bevölkerung Schritt, gelingt der militärische Gleichschritt von Bundeswehr und Bevölkerung?

Denn die Bundeswehr wird ihren Auftrag nur dann erfüllen können, wenn sie sich auf den nötigen Rückhalt in der Gesellschaft verlassen kann und wenn dieser Rückhalt auch sichtbar wird.

Was bleibt für die Menschen in Afghanistan? Übertriebene Hoffnungen dämpft die Kanzlerin:

Die Partner der internationalen Gemeinschaft wissen, dass wir Afghanistan nicht zu einer Demokratie nach westlichem Vorbild machen können. Darum hat es auch gar nicht zu gehen. Etwas mehr als acht Jahre nach Beginn des Einsatzes müssen wir feststellen – ich sage dies durchaus auch selbstkritisch und ohne jede Schuldzuweisung gegen irgendjemanden –: Es gab manche Fortschritte, es gab zu viele Rückschritte, und unsere Ziele waren zum Teil unrealistisch hoch oder sogar falsch.

Demokratie, das ist zuviel für den Orientalen in Afghanistan, das ließe

…die kulturellen, historischen und religiösen Traditionen der afghanischen Gesellschaft unberücksichtigt

Den Afghanen fehlt es vor allem an der Staatsgewalt selbst, an einem staatlichen Gewaltmonopol, das erst die Voraussetzung für alles weitere ist:

erst wenn der Staat in der Lage ist, das elementare Bedürfnis seiner Bevölkerung nach Sicherheit zu erfüllen, erst dann gewinnen Menschen auch den Freiraum, ja die Freiheit, sich dem Aufbau ihres Landes zu widmen, ihrer Bildung, ihrer Wirtschaft, ihrem sozialen Ausgleich. …Sicherheit ist die Voraussetzung jeder Entwicklung und die Voraussetzung dafür, dass sich in einem Land wie Afghanistan nicht wieder Brutstätten des internationalen Terrorismus bilden, die uns in Europa und der Welt bedrohen können.

Deshalb ist es sowohl im Interesse des Westens, als auch der Afghanen, wenn der dortige staatliche Gewaltapparat aufgerüstet wird, damit er bald die Aufgaben übernehmen kann, um den sich derzeit noch die Soldaten der Alliierten unter Einsatz ihres Lebens kümmern müssen. Den Afghanen mangelt es also als erstes an Gewalt, durch Polizisten und Soldaten. Diese zu stärken ist die Aufgabe der nächsten Jahre:

Die Londoner Strategie sieht vor, die afghanischen Sicherheitskräfte so auszubilden, dass sie schnellstmöglich in die Lage versetzt werden, für die Sicherheit und Stabilität ihres Landes selbst zu sorgen.

Ist dieser ohne besondere Ansprüche an Demokratie aufgebaute Gewaltapparat in Afghanistan erst einmal geschaffen, dann können die Truppen der NATO abziehen und in dem auf dem Human Development Index auf der vorletzten Stelle rangierenden Land werden, so verspricht die Kanzlerin, „Freiheit“, „Aufbau“ und sogar „sozialer Ausgleich“ einziehen.

Wilhelm Achelpöhler
P.S.:
Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts musste sich das Landgericht Düsseldorf erneut mit den Voraussetzungen der Rasterfahndung beschäftigen. Es gab der NRW-Polizei erneut Gelegenheit, zur konkreten Gefahr vorzutragen.
Die Polizeibehörden tischten dem Gericht eine Räuberpistole auf, wie man dem Beschluss des Landgerichts Düsseldorf entnehmen kann:

„dienstlich wurde hier folgender sachverhalt bekannt:
in einem bosnischen dorf sollen sich eine groessere zahl von kaempfern aus dem bosnienkrieg aufhalten, die aus verschiedenen teilen der arabischen welt – auch afghanistan – stammen. sie sollen ueber bosnische paesse verfuegen. ein grosser teil der maenner soll auf Weisung des bin laden dorthin gekommen sein.
zwei dieser maenner – bosnienkaempfer — sollen, nachdem zuvor 24 kilogramm plastiksprengstoff geordert worden seien, nach deutschland gereist sein. sie sei-en am 16.09.01 unter mitnahme von zwei taschen mit einem pkw ueber slowe¬nien zunächst nach wien gefahren. am 17.09.01, gegen 20.00 uhr sollen die bei-den maenner dann am hauptbahnhof hamburg gewesen sein. der derzeitige auf¬enthaltsort ist nicht bekannt.

beschreibung der zwei „bosnienkaempfer“:
maennlich
– 35 bis 45 jahre alt
eine person ca. 176 cm, schlank
– zweite person ca. 1 85 cm, schlank
– beide tragen keinen bart, keinen schmuck
– beide von arabischem typus
– stimmlage normal, staendig gleiche tonlage
vermutlich keine deutschkenntnisse, nur erlerntes bosnisch, etwas englisch, arabisch
– eine person nennt sich „hamza°
zweite person nennt sich „el —s –
bewertung:
der hintergrund der informationen wird als zuverlaessig bewertet.
die derzeit vorliegenden erkenntnisse lassen eine abschliessende bewertung der von diesen personen konkret ausgehenden gefahren nicht zu.
vor dem derzeitigen hintergrund der anschlaege in usa und zu erwartender ver¬geltungsaktionen ist es wahrscheinlich, dass die zwei maenner sich mit dem ziel nach deutschland begeben haben, moeglicherweise unter verwendung nicht un¬erheblicher mengen von plastiksprengstoff, hier oder von hier aus anschiags¬handlungen zu begehen.
im zielspektrum duerften analog zur allgemeinen gefaehrdungslage in dem o.g. zusammenhang vor allem us-amerikanische, daneben aber auch israeli¬sche/juedische einrichtungen und interessen stehen, bei fortentwicklung der lage aber auch solche von moeglichen weiteren mitgliedsstaaten einer zu erwarten-den internationalen allianz.
weiterfuehrende ermittlungen werden durchgefuehrt, bei vorliegen zusaetzlicher erkenntnisse wird nachberichtet.“

Das war dem Landgericht dann doch zu viel – es stellte durch Beschluss vom 15.3.2007 fest, dass die Anordnung der Rasterfahndung nun endgültig mangels konkreter Gefahr rechtswidrig ist.

Comments

  1. […] Da gibt es den humanitären Gesichtspunkt der Hilfe für die Bevölkerung. Ein Grund, der nach Aussage von Bundeskanzlerin Merkel allein den Kriegseinsatz nicht rechtfertigen könnte. Dann geht es um die Terrorismusbekämpfung, […]

RSSAbonnier' uns