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Flugzeugabschuss über Ostukraine: wer war’s?

Auch wenn einige Medien und PolitikerInnen schon die Verantwortung zugewiesen haben und nach Verschärfung der Sanktionen gegen Russland rufen, sollte man angesichts der bisher vorliegenden Belege für die eine oder andere Theorie zur Beurteilung der Lage vorsichtig sein und lieber einigen Fragen nachgehen. Leider ist die Täterschaft allen am Konflikt Beteiligten zuzutrauen.

1. Die Separatisten waren es

Wer hat in der Ostukraine in den letzten Wochen Flugzeuge abgeschossen? Da die Separatisten über keine Luftwaffe verfügen, hat die Kiewer Bürgerkriegsseite keine Flugzeuge abgeschossen; es fehlten die Zielobjekte. Alle Abschüsse gehen auf das Konto der Separatisten! Dabei handelte es sich freilich um Militärflugzeuge, aber die Theorie ist bekanntlich, das Zivilflugzeug sei mit einem (militärisch genutzten) Transportflugzeug verwechselt worden und insofern „aus Versehen“ abgeschossen worden. Die Beantwortung dieser Frage weist also in Richtung der Separatisten.

Die (später gelöschten) Facebook-Einträge und Telefonmitschnitte des ukrainischen Geheimdienstes können in diesem Zusammenhang allerdings als hartes Beweismittel kaum durchgehen. Ein Geheimdienst, der mit den Profis der US-Geheimdienste zusammenarbeitet, sollte so etwas auch fälschen können. Insofern ist hier Vorsicht angebracht.

Umstritten ist, ob die Aufständischen über die notwendige Waffentechnik verfügen. Bisher hatten sie nur Hubschrauber und Flugzeuge in niedrigerer Höhe abgeschossen. Selbst seitens der Kiewer Quellen ist umstritten, ob die Separatisten nun ein entsprechendes BUK-Raketenwaffensystem erbeutet haben oder nicht. Der ukrainische Generalstaatsanwalt Witali Jarema hat am 18.7.14 (also nach dem Abschuss) klar gestellt, die Aufständischen verfügten über kein einsatzfähiges solches System (s. „Das Ende eines Fluges“, FAZ 19.7.2014).

2. Die Russen waren es

Womit der schwarze Peter nach Russland weitergereicht wäre: Wenn es die Aufständischen nicht konnten, kämen die Russen in Betracht. Dass die russische Armee über entsprechende Technik verfügt, ist unumstritten. Allerdings haben selbst die westlichen Regierungen (und Geheimdienste) noch nicht behauptet, dass die russische Armee selbst geschossen habe. Die Theorie wird bisher nur in Kiew vertreten. Bliebe also die Möglichkeit, dass entsprechendes russisches Gerät und Personal in die Ostukraine verbracht worden ist. Genau das behaupten Kiewer Quellen. Das Innenministerium präsentierte sogar ein Video, auf dem zu sehen sein soll, wie „die Separatisten ihre „Buk“ zurück nach Russland schafften (FAZ 19.7.2014). Dann stellt sich allerdings die Frage, warum es dann (bei dem professionellen Personal) zu einem Bedienungsfehler und einer Verwechselung des Zivil- mit einem Militärtransportflugzeug gekommen sein sollte. Denn warum sollten die Russen bzw. sich als Separatisten ausgebende Russen bewusst ein Zivilflugzeug abschießen? Um es anschließend der Kiewer Regierung in die Schuhe schieben zu wollen? Das wäre ein wirklich waghalsiges Kalkül angesichts der „Sympathien“, die Russland derzeit in westlichen Medien und Politikkreisen genießt.

Bei Spiegel Online schloss der Chefberater für Luftverteidigungssysteme beim europäischen Rüstungskonzern MBDA ein Versehen ausdrücklich aus: »Die Abwehrstellung kann zivile Flugzeuge normalerweise mit Hilfe der sogenannten Freund-Feind-Erkennung, auch bekannt als IFF (Identification Friend or Foe), erkennen. ‚Jedes zivile Linienflugzeug hat einen IFF-Transponder‘, sagt Karl-Josef Dahlem, Chefberater für Luftverteidigungssysteme beim europäischen Rüstungskonzern MBDA. […] Selbst ohne IFF-Antwort hätte es für die Buk-Mannschaft deutliche Anzeichen gegeben, dass es sich um eine zivile Maschine handelte. […] Ein Unfall durch einen Bedienungsfehler sei deshalb unwahrscheinlich, meint Dahlem. ‘Auch wenn es sich um einen Irrtum handelte: Der Verlauf war bis zum Einschlag so gewollt.‘«

3. Die Ukrainer Zentralregierung war es

Nutzen zieht aus dem Abschuss politisch einzig und allein die ukrainische Zentralregierung. Russland und die Separatisten sind durch den ihnen zugeschriebenen Abschuss international desavouiert, wie man aus den entsprechenden Schuldzuweisungen der letzten Tage leicht erkennen kann. Konsequenz könnten neben schärferen Sanktionen gegen Russland auch mehr militärische Unterstützung für Kiew durch westliche Waffen und Personal sein. Die Waffentechnik, um ein Flugzeug in 10.000 Meter Höhe abzuschießen, hat die Poroschenko-Regierung natürlich ebenfalls zur Verfügung: allein im Bereich der Abschusstelle soll es nach russischen Quellen fünf BUK-Batterien geben, im gesamten Donezker Raum sogar 27. Außerdem wird die Kiewer Regierung von Ländern wie den USA unterstützt, die über weitere technologische Mittel verfügen.

Allerdings wurde bisher kein einziger Beweis für die Theorie, Kiew habe das Flugzeug abgeschossen, vorgelegt – lässt man einmal die Behauptung aus Russland beiseite, man habe den „Betrieb der Radarstation Kupol registriert“ (RIA NOVOSTI 17.7.2014). Auch die Aussagen von „anonymen Augenzeugen“, die einen Kampfjet beobachtet haben wollen, der Raketen auf das Zivilflugzeug abgeschossen haben soll (so Artikel in russischen Medien), gehen als Beleg wohl kaum durch.

Nach der zugrundeliegenden Theorie hätte Kiew das Zivilflugzeug mit Absicht abgeschossen, um die Tat dann den Separatisten anzuhängen. Doch wie bereits gesagt: keinerlei Beweise.

Auch ein versehentlicher Abschuss durch die ukrainischen BUK-Batterien ist nicht so abwegig, wie Manche denken mögen: im Jahre 2001 wurde bei einer Militärübung ein russisches Passagierflugzeug durch eine ukrainische Rakete abgeschossen; damals starben 78 Menschen.

4. Andere Absturzursache

Theoretisch könnte der Absturz der Maschine natürlich noch eine andere Ursache haben. Aber dass ein „technischer Defekt“ und ein „Terroranschlag“ irgendwelcher Dschihadisten sich ausgerechnet über der Ostukraine ereignet, erscheint nun wirklich sehr unwahrscheinlich.

Die aktuelle Faktenlage mit weiteren Quellen hat Jürgen Wagner von imi-online in dem Artikel Flugzeugabschuss: Steilvorlage für nächsten Eskalationsschritt im Ukrainekonflikt? zusammengetragen. Er sei ausdrücklich zur Lektüre empfohlen.

Uli Cremer (19.7.2014)

Comments

  1. Sehr interessante Theorien und eine wird stimmen.
    Da die Flugschreiber gefunden und auch übergeben wurden bleibt deren Auswertung abtzuwarten. Politische Einflussnahme und Fälschungen sind aber auch mit den heutigen Mitteln und Möglichkeiten nicht auszuschließen.
    Die voreilige Schuldzuweisung ist sehr verdächtig und auch die Beipflichtung durch die Regierung der Bundesrepublik ist
    für meine Begriffe wieder einmal typisch für das sofortige Abnicken aller Meinungsäußerungen des Herrn Obama und seiner Gremien.


    Peter Eichhorn
    22. Juli 2014

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