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Wahnsinn! Zehntausende Bundeswehr-Soldaten desertiert?

Wer das Bundeswehr-Weißbuch 2006 gelesen hat und dieser Tage den Vorstellungen des neuen Verteidigungsministers Maiziere zur Bundeswehrreform lauscht, reibt sich verwundert die Augen. Laut der gerade erlassenen neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien sollen in Zukunft nicht nur 7.000, sondern 10.000 Bundeswehr-Soldaten für Auslandseinsätze zur Verfügung stehen. Diese Zahl muss man entsprechend der NATO-Erfahrungen mit mindestens 3 multiplizieren, weil noch einmal so viele sich auf den Einsatz vorbereiten, ein weiteres Drittel ruht sich vom Einsatz aus. Das ergäbe aktuell 21.000 und in Zukunft 30.000 Bundeswehr-Soldaten für Auslandseinsätze. Nicht die 7.000, sondern die 21.000 müsste man mit der Gesamtzahl der Bundeswehr in Beziehung setzen.
Vor 5 Jahren war im Weißbuch 2006 dargelegt worden, dass die Eingreifkräfte der Bundeswehr einen Größenordnung von 35.000 Soldaten hätten, davon 15.000 der schnellen Eingreiftruppe der NATO zugeordnet, 18.000 der EU, 1.000 als Stand-By-Force für die UNO und 1.000 „für eine grundsätzlich in nationaler Verantwortung durchzuführender Evakuierungsoperation“ (s. Weißbuch 2006, S.89f.). Hinzukamen 70.000 Stabilisierungskräfte „für Einsätze niedriger und mittlerer Intensität und längerer Dauer“; hieraus wurden insbesondere die ISAF-Soldaten für den Afghanistankrieg gezogen. Kurzum: 105.000 Soldaten der 252.000 = 42% der Bundeswehr werden seit 2006 für Auslandseinsätze vorgehalten! Doch halt: Aktuell hat die Bundeswehr durch die bereits vollzogene Aussetzung der Wehrpflicht nur noch eine Präsenzstärke von 221.000 (FR 19.5.2011, S.2). Wären also all die Einsatzkräfte und Stabilisierungskräfte noch zugegen, wären 47,5% der Bundeswehr für Auslandseinsätze vorgesehen!
Aber der Minister redet ja von 7 000. Insofern: Wahnsinn, die Bundeswehr hat in wenigen Jahren Verluste von über 80.000 auslandsverwendungsfähigen Soldaten zu beklagen. Wie konnte es soweit kommen? Sind Zehntausende desertiert?
Hans Rühle (ehemaliger Ministerialdirektor im BMVG) hat sich in der FAZ vom 10.5.2011 dem Phänomen der verschwundenen Soldaten gewidmet. Er findet: „Keine Frage: Eine Armee, die von 252 000 Soldaten lediglich 7000 durchhaltefähig in den Einsatz bringen könnte, wäre dringend reformbedürftig. Nur hat diese Rechnung einen Schönheitsfehler: Sie ist falsch. Die Zahl 7000, die der ehemalige Verteidigungsminister… Guttenberg als Beleg für die Dringlichkeit seiner Reformen ins Feld führte, entspricht nicht den realen Fähigkeiten der Bundeswehr. Die deutschen Streitkräfte können mehr, als es die gegenwärtige Debatte vermuten lässt.“ Er informiert darüber, dass die Eingreifkräfte „inzwischen sogar von 35 000 auf 50 000 aufgestockt“ worden sind! Demnach wird zur Zeit über die Hälfte der Bundeswehr (120.000 Soldaten von 221.000 = 54%) für Auslandseinsätze bereit gehalten. Dass die Stabilisierungskräfte wegen schlechter Organisation nur 7 000 (hier kommt die Propaganda-Zahl – so muss man das wohl bezeichnen – nämlich her) von insgesamt 70 000 im Einsatz haben können, ist für die Bundeswehrreformer, die eine besonders effiziente angriffsfähige Bundeswehr haben möchten, natürlich ein Problem.
Dass der neue Minister die Guttenbergschen Nebelwerfer weiter einsetzt, zeigt, dass im Bendlerblock absolute Kontinuität herrscht. Maiziere macht genau da weiter, wo Guttenberg aufgehört hat. Auch wenn er nicht mit seiner Frau im Plänterwald Fotoshootings macht oder mit ihr die Soldaten in Afghanistan besucht. Andererseits sollte man die PR-Maschinerie des neuen Ministers nicht unterschätzen. Er redet über die Bundeswehr nämlich so: „Wir sind eine ganz besondere Nationalmannschaft.“ (SZ 19.5.2011, „Befehl von oben“) Während es bei Auftritten der Fußballnationalmannschaft beim Gegner maximal zu Knochenbrüchen kommen kann, werden die Gegner der Bundeswehr mit Kampfjets, Panzerhaubitzen oder Maschinengewehren bekämpft, so dass es durchaus Todesopfer gibt. Während die deutschen Fußballer gegen andere Fußballer antreten, zeigen die die Ereignisse der letzten Tage in Talokan, dass die „besondere Nationalmannschaft“ zuweilen nicht nur gegen Kombattanten, sondern auch Demonstranten kämpft.

Uli Cremer

Comments

  1. […] Friedenskooperative […]

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