Syrienkrieg: Türkei verliert ersten Kampfjet
Am 22.6.12 schoss Syrien einen türkischen Kampfjet ab. Die türkische Regierung reagierte empört und befasste am 26.6.12 die NATO-Kollegen mit der Angelegenheit; dabei machte sich die NATO insgesamt die türkische Version des Vorfalls zu Eigen. Diese geht so: Das Flugzeug „stürzte etwa 12 Kilometer vor der syrischen Küste ins Meer… Das Flugzeug habe womöglich kurzzeitig den syrischen Luftraum verletzt, wurde nach Angaben von Außenminister Davoutaglu aber über internationalen Gewässern abgeschlossen. Die Maschine habe einen Ausbildungsflug absolviert und keinen Auftrag im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in Syrien gehabt.“ (FAZ 25.6.2012) Nach Angaben von Davutoglu gab es gewissermaßen folgenden „Ausbildungsauftrag“: „Die Maschine habe die eigene türkische Luftabwehr testen wollen und sei deshalb auch so niedrig geflogen…“ (SZ 25.6.12) Die tagesschau berichtet den Vorfall so: „Die türkische Seite räumt zwar ein, dass die Maschine sich kurzzeitig im syrischen Luftraum aufgehalten habe, dann aber in internationalem Luftraum zurückgekehrt sei. Dort sei sie dann von der syrischen Seite abgeschossen worden. Da die Besatzung kein Radar-Warnsignal gemeldet habe, werde vermutet, dass eine hitzesuchende Rakete auf das Flugzeug abgefeuert wurde, sagte der türkische Vize-Regierungschef Bülent Arinc.“ (http://www.tagesschau.de/ausland/natorat104.html)
Syrien hingegen betont, das Flugzeug sei über syrischem Luftraum abgeschossen worden. Der Sprecher des syrischen Außenministeriums Makdessi „behauptet hingegen, dass der Jet mehrfach in den syrischen Luftraum eingedrungen sei. Das Flugzeug sei in circa 100 Meter Höhe und etwa ein bis zwei Kilometer Entfernung von der Küste aufgetaucht. Dort sei es dann von einem Luftabwehrgeschütz abgeschossen worden. Die Aktion sei ein Akt der Selbstverteidigung staatlicher Souveränität gewesen.“ (ebenda) Details zur syrischen Version, z.B. das das Luftabwehrgeschütz gar nicht die Reichweite hat, um ein Ziel über internationalen Gewässern zu treffen) sind bei der staatlichen syrischen Medienagentur SANA nachzulesen. (Makdessi: Turkish Military Aircraft Violated Syria’s Sovereignty, Syrian Response Was Defensive Act, http://www.sana.sy/eng/21/2012/06/25/427549.htm)
Luftabwehrgeschütz oder Rakete? Eine neutrale internationale Untersuchung etwa unter Beteiligung der 5 UN-Vetomächte oder eine gemeinsame türkisch-syrische Untersuchung könnte helfen, die Wahrheit herauszufinden. Letzteres schlug Makdessi vor, aber über eine positive Reaktion der türkischen Regierung ist bisher nichts bekannt geworden. Insofern liegt der schwarze Peter in Ankara und speist den Verdacht, dass mit der offiziellen türkischen Version etwas nicht stimmt. Auch davon, dass die türkische Version nun die NATO-Version ist, wird sie nicht glaubwürdiger.
Stellen wir einmal die eigentliche Ausgangsfrage: Was macht ein türkischer Kampfjet vor der syrischen Küste? Oder in den Worten von Lutz Herden vom FREITAG (28.6.2012): „Warum muss sich einen Militärmaschine aus der Türkei syrischem Luftraum soweit nähern, dass der verletzt werden kann?“ Umgekehrt fliegen ja auch keine syrischen Maschinen vor der türkischen Küste. Ausbildungsflüge absolviert man eigentlich nicht über feindlichem Luftraum oder in direkter Nähe. Selbst die SZ befindet: „So gibt es keinen vernünftigen Grund, an der Grenze zu einem von Gewalt geschüttelten Land Übungsflüge zu absolvieren.“ (SZ 27.6.12)
Faktisch hat die Türkei Syrien, das völkerrechtlich noch immer von Assad regiert wird, seit einigen Monaten den Krieg erklärt und unterstützt die oppositionellen militärischen Kräfte. Bisher ist es noch ein kalter Krieg. Aber: Wird hier etwa ein militärisches Eingreifen der NATO vorbereitet? Da es für die NATO politisch unmöglich erscheint, ein Mandat des UN-Sicherheitsrats für Militärschläge gegen Syrien zu erhalten, wäre das Konstrukt der „Selbstverteidigung“ via „NATO-Bündnisfall“ eine Alternative. In Artikel 51 betont die UN-Charta „das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat“. Logistisch hat die türkische Regierung in den letzten Tagen schon einmal weitere Truppen und Waffen an die syrische Grenze verlegt, auch die syrischen Truppen sind verstärkt worden.
Das Hula-Massaker
In einem anderen Fall wurde seitens der UNO versucht, die Faktenlage zu erhellen, nämlich bezüglich des Massakers von Hula vom 25.Mai 2012. Dieses ist bekanntlich nicht irgendein Massaker der letzten Monate, sondern dieses war von den westlichen Staaten als Anlass und Begründung genommen worden, die jeweiligen syrischen Botschafter auszuweisen. Im Gegenzug verwies Damaskus die entsprechenden westlichen Botschafter des Landes, so dass nun keinerlei diplomatische Beziehungen mehr bestehen. Der UNO-Menschenrechtsrat kam allerdings zu keinem eindeutigen Ergebnis. Das dürfte auch damit zusammenhängen, dass die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die unverdächtig ist, mit dem Assad-Regime gemeinsame Sache zu machen, eine Version des Tathergangs veröffentlicht hat, nach der syrische Oppositionelle für das Massaker verantwortlich sind, denn die Opfer waren offenbar gar keine Regimegegner: „Getötet worden seien nahezu ausschließlich Familien der alawitischen und schiitischen Minderheit Hulas, dessen Bevölkerung zu mehr als neunzig Prozent Sunniten sind. So wurden mehrere Dutzend Mitglieder einer Familie abgeschlachtet, die in den vergangenen Jahren vom sunnitischen zum schiitischen Islam übergetreten sei. Getötet wurden ferner Mitglieder der alawitischen Familie Shomaliya und die Familie eines sunnitischen Parlamentsabgeordneten, weil dieser als Kollaborateur galt. Unmittelbar nach dem Massaker hätten die Täter ihre Opfer gefilmt, sie als sunnitische Opfer ausgegeben und die Videos über Internet verbreitet.“ http://www.faz.net/aktuell/politik/neue-erkenntnisse-zu-getoeteten-von-hula-abermals-massaker-in-syrien-11776496.html Ein paar Tage später bestätigte die FAZ ihre Version: http://www.faz.net/aktuell/politik/arabische-welt/syrien-eine-ausloeschung-11784434.html
Uli Cremer