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Afghanistan: Deutsche MilitärpolitikerInnen verpennen wichtiges Kriegsereignis

Am 3.7.2012 fand ein für den Afghanistan-Krieg militärisch sehr wichtiges Ereignis statt, das faszinierenderweise von den Parteien und Bundestagsfraktionen, die den Militäreinsatz unterstützen, vornehm ignoriert wurde. Während insbesondere die Bundestagsfraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der GRÜNEN zu allen möglichen und unmöglichen politischen Themen Presseerklärungen abgeben und auch in der ersten Juli-Woche abgegeben haben, wurde zu dem Ereignis geschwiegen. (Auch die Linkspartei gab ihre letzte Afghanistan-Erklärung am 1.7.2012 ab, aber die tritt ja seit 2001 gegen die Einsatz auf.)

Nein, das Ereignis ist nicht der Truppenbesuch von de Maizière. Viel, viel wichtiger: Die Nachschubroute über Pakistan kann seit dem 3.7.2012 wieder benutzt werden. Am 5.7. 2012 haben offenbar die ersten vier LKWs mit Nachschubgütern die afghanische Grenze erreicht. Seit Ende November hatte Pakistan keinen Transfer mehr zugelassen, nachdem NATO- bzw. US-Bomber bei einem Angriff auf einen pakistanischen Grenzposten 24 Soldaten töteten.

Die Einigung zwischen US-Regierung und pakistanischer Regierung kam überraschend, auch der deutsche Militärminister de Maizière, der gerade in AFG weilte, ging in seinen Interview-Äußerungen davon aus, dass die pakistanische Route weiter geschlossen bleiben würde. Eine Entschuldigung der US-Regierung plus Wiederaufnahme der milliardenschweren US-Militärhilfe für Pakistan sollen es möglich gemacht haben. Immer wieder hatte es Gerüchte gegeben, die Route würde ganz bald wieder geöffnet, zuletzt anlässlich des NATO-Gipfels in Chicago im Mai. Da hätte eine solche Erfolgsmeldung der geschundenen NATO-Seele sicher gut getan.

Warum ist dieses Ereignis nun so wichtig? Früher war 80% des Nachschubs über Pakistan abgewickelt worden. Auch wenn die Alternativrouten nach Nordafghanistan sowie der Luftweg noch offen standen und ausgebaut wurden, wurde die Kriegsmaschinerie signifikant getroffen. Das findet sich natürlich in keinem NATO-Kommuniqué, da keine positive Nachricht. Zufällig am 4.7.2012 veröffentlichte die FAZ eine Afghanistan-Reportage auf Seite 3 („Bis alles schläft und keiner mehr wacht“), die die Dinge ein wenig erhellt. Darin wird von einem Kompaniechef der afghanischen Armee berichtet, der sich „damit herumschlagen“ muss, „wie er an Benzin kommt“. Denn: „Das Benzin ist knapp… Weil das Bataillon nicht im Kampf steht, bekommt es von der regionalen Armeeführung in Masar-i-Sharif statt der vorgesehenen 10 000 Liter nur 8 000 Liter Diesel. Aber auch die kommen selten an.“ Ja, ja, die Korruption. Übersetzt: Für die NATO-Verbündeten war monatelang das Benzin rationiert worden, vermutlich auch für die NATO-Truppen selbst. Entsprechend muss(te) die ein oder andere militärische Operation ausfallen.

Das könnte nun wieder ein Ende haben. Deswegen Erleichterung bei der NATO. Denn in Brüssel weiß man durchaus, worauf es im Krieg ankommt. Deswegen begrüßte der NATO Generalsekretär im Gegensatz zu den deutschen MilitärpolitikerInnen in einem Statement sofort das Ereignis: „ I welcome Pakistan’s announcement that the ground supply lines to Afghanistan are now opening. The resumption of transit arrangements for ISAF supplies through Pakistan demonstrates strengthened cooperation between ISAF nations and our partner Pakistan.“ (3.7.2012 – Quelle: www.nato.int) Um es noch mal deutlich zu sagen: Es sind ab sofort wieder mehr Kampfhandlungen und entsprechend mehr Tote in Afghanistan möglich. Die Aufständischen haben außerdem angekündigt, die Transporte auch in Pakistan zu attackieren: „Wir werden nicht nur den Nachschub angreifen, sondern auch die Fahrer der Lastwagen töten“, erklärte ein Sprecher der pakistanischen Taliban (siehe SZ vom 5.7.12).

Immerhin haben also auch die deutschen Medien das Ereignis aufgegriffen – allerdings zumeist mit einem dicken „Abzugs“-Propagandabrett vorm Kopf – beim NATO-Generalsekretär ist davon nicht die Rede, ihm geht es um NACHSCHUB (nichts Anderes bedeutet das englische Wort „supplies“), also darum, neue Güter HINEINZUBRINGEN, nicht um Abzugscontainer. Schreibt z.B. die WELT am 3.7.2012: „Die Öffnung der Landwege durch Pakistan ist auch für den Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan von großer Bedeutung. Das Material könne nun „zu viel geringeren Kosten“ heimgeholt werden, sagte Clinton. Alle ausländischen Kampftruppen sollen bis Ende 2014 vom Hindukusch abziehen.“ Die Süddeutsche behauptet am 4.7.12 allen Ernstes, dass die Bundeswehr „mit dem Abzug aus Afghanistan begonnen“ habe („Operation ohne Blaupause“). Gleichzeitig hält der Autor des Artikels, Peter Blechschmidt, es für „sehr wahrscheinlich“, „dass auch (nach 2014, UC) Soldaten am Hindukusch bleiben, als Berater und als Ausbilder, und dieses Personal muss wiederum geschützt werden, von kampferprobten Soldaten. Die Bundeswehr wird also weiterhin mit Menschen und Material präsent bleiben.“ Man möchte ihm zurufen: „Herr Blechschmidt, deswegen ist das ja auch gar kein Abzug. Begreifen Sie doch: Es ist nur eine Reduzierung!“

Geplant wird nämlich seitens der NATO, die Truppen von bisher130.000 auf nur noch ca. 30.000 zu reduzieren (siehe dazu auch den Artikel der Grünen Friedensinitiative http://www.gruene-friedensinitiative.de/texte/120526_kabul_kunduz_chicago.html ). Die 30.000 könnte man dann notfalls monatelang problemlos ohne die pakistanische Nachschubroute über den Norden versorgen.

Für die politische Diskussion ist jetzt allerdings interessant, was aus de Maizière’s Position wird, man müsse ein neues Bundeswehr-Mandat für die Absicherung der „Abzugs“ (auch der NATO-Verbündeten) im Norden machen: „Im Verteidigungsministerium wird erwogen, für den Abzug ein eigenes Bundestagsmandat anzustreben. Die Gesamtzahl der Bundeswehrsoldaten soll sich dadurch aber nicht erhöhen.“ (tagesschau.de 3.7.2012) Also ist einstweilen nicht einmal eine Reduzierung der Bundeswehr-Truppenstärke in Afghanistan vorgesehen! Der GRÜNE Abgeordnete Frithjof Schmidt hatte das am 22.5.2012 richtig erkannt und benannt: „Seit Monaten weigert sie (die Bundesregierung, UC) sich einen Abzugsplan für Afghanistan vorzulegen.“ Und: „ Statt über einen Abzugsplan denkt die schwarz-gelbe Koalition über eine Erhöhung der Truppenzahl nach…“ (Quelle: http://frithjof-schmidt.de/detail/nachricht/ohne-plan-afghanistan-und-der-abzug.html )

Wenn die NATO-Truppenreduktion bis 2014 nun doch hauptsächlich über Pakistan erfolgen kann, erhält die de Maizière Argumentation Risse. Kann sich das Verteidigungsministerium dann weiter signifikanten Reduzierungen des deutschen Kontingents verweigern? So könnte die Wiederöffnung der pakistanischen Wege zu tatsächlicher Verkleinerung des deutschen Afghanistankontingents führen. Das wäre dann gewissermaßen ein Kollateralnutzen!

Uli Cremer

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