Categorized under: Allgemein

Was die Westerwelle-KritikerInnen von Fischer lernen können

Gerade vielen GRÜNEN fällt es schwer zuzugeben, dass Westerwelle im März 2011 im Prinzip richtig lag: Je länger der Krieg in Libyen dauert, desto deutlicher wird, wie richtig das Abstimmungsverhalten Deutschlands im UN-Sicherheitsrat (= Nichtzustimmung zum Krieg) war. Der in der Resolution vorgesehene „Schutz der Zivilbevölkerung“ gilt in der Praxis nicht überall in Libyen. Inzwischen wurden durch die NATO-Angriffe auf Tripolis nach libyschen Angaben bereits 856 Zivilisten getötet (FAZ 20.6.2011). Selbst wenn die Zahl zu hoch angegeben sein mag (NATO: „reine Propaganda“) wird niemand ernsthaft bestreiten können, dass die NATO-Angriffe bereits mehrere hundert Tote gefordert haben.

Nun kann man der NATO zu Gute halten, dass sie die Zivilbevölkerung ja nicht gezielt aus der Luft bombardiert. Das war bekanntlich der Vorwurf an das Gaddafi-Regime, weswegen eine Flugverbotszone im März 2011 verhängt wurde. Bewiesen ist das freilich bis heute nicht. So schreibt der Hamburger Prof. Reinhard Merkel: „Dass Gaddafis Truppen gezielt Zivilisten töteten, ist vielfach behauptet, aber nirgends glaubhaft belegt worden.“ (FAZ 22.3.2011)

US-Professor Alan J. Kuperman stellt im Boston Globe vom 14.4.2011 sogar das Basisargument der Kriegsbefürworter, es habe ein Massaker an Zivilisten in Bengasi gedroht, in Frage: „Nor did Khadafy ever threaten civilian massacre in Benghazi, as Obama alleged. The “no mercy’’ warning, of March 17, targeted rebels only, as reported by The New York Times, which noted that Libya’s leader promised amnesty for those “who throw their weapons away.’’ Khadafy even offered the rebels an escape route and open border to Egypt, to avoid a fight “to the bitter end.’’”

Dennoch kritisieren deutsche Oppositionspolitiker Westerwelle wegen der Enthaltung im Sicherheitsrat. Jürgen Trittin erhebt z.B. den folgenden Vorwurf: „Es ist richtig, dass Deutschland sich an dieser Operation nicht beteiligt. Aber diese richtige Haltung kann man auch anders ausdrücken als durch Enthaltung. Die Resolution des Sicherheitsrates enthält viel Richtiges, deswegen wäre es klug gewesen, ihr zuzustimmen“. (FAZ 23.03.2011, „Einig in der Kritik nur an der Regierung, S.4)

Wenn man Nein meint, soll man mit Ja stimmen? Eine faszinierende Logik, die auf der angeblichen „Isolierung Deutschlands“ durch das Abstimmungsverhalten basiert. Mit der gleichen Logik dürfte Deutschland natürlich auch nicht aus der Atomenergie aussteigen, da es sich dabei natürlich auch um einen deutschen „Sonderweg“ handelt. Wenn die Verbündeten auf AKWs setzen, müsste man da eben mitmachen.

FDP-Minister Niebel wies richtigerweise darauf hin, dass Deutschland bei einer Zustimmung in der Pflicht gestanden hätte, sich am Einsatz zu beteiligen, politisch wie militärisch-technisch. Denn: „Neben den USA hat allein die Bundesluftwaffe mit ihren ECR-Tornados die militärischen Fähigkeiten, die Flugverbotszone durchzusetzen und die Flugabwehr auszuschalten.“ (dpa 19.3.2011)

Was können diejenigen, die sich ein deutsches Ja zum Krieg im Sicherheitsrat gewünscht hätten und gleichzeitig keine deutsche Beteiligung am Krieg nun von einem Vorgänger Westerwelle lernen? Dass so ein Unsinn nicht funktioniert. Sie brauchen dazu nur Fischers aktuelles Buch „I am not convinced“ lesen. Darin schildert er auf S.193ff, dass er bei einer möglichen Abstimmung zur Legitimierung des Irak-Krieges im UN-Sicherheitsrat 2003 exakt dieses schizophrene Verhalten ins Auge fasste. Sein Büroleiter Martin Kobler habe die Frage aufgeworfen, „warum wir unsere Ablehnung des Irak-Krieges nicht von unserem Abstimmungsverhalten im VN-Sicherheitsrat trennen könnten. Wir würden keine Soldaten in den Irak schicken, und damit wäre die Glaubwürdigkeit von Kanzler und Regierung gesichert.“ Motiv damals wie heute: Wichtiger als die Sache ist, dass Deutschland im westlichen Lager nicht isoliert ist. Fischer testete mittels eines mehrdeutigen Spiegel-Interviews, „ob eine Trennung vom deutschen Nein zum Irak-Krieg (keine Truppen) und dem Abstimmungsverhalten im VN-Sicherheitsrat (mögliche Zustimmung) von der deutschen Öffentlichkeit akzeptiert werden würde.“ Angesichts der entsetzten Reaktionen aus Medien und rotgrünem Lager schlussfolgerte Fischer: „Eines zumindest hatten mein medialer Testballon und die von ihm ausgelöste Aufregung zweifelsfrei klargemacht: dass eine Trennung von unserer Nichtteilnahme am Krieg und unserem Abstimmungsverhalten im VN-Sicherheitsrat von der deutschen Öffentlichkeit niemals akzeptiert werden würde. Und insofern konnte man diesen vermeintlichen Ausweg ad acta legen.“ Nichts Anderes gilt für die Aufwärmung dieser Schnapsidee im Falle der Libyen-Abstimmung. Man kann kein Nein durch den Ja ausdrücken. Das hatte Außenminister Westerwelle im März richtig erkannt und – um die von ihm für notwendig befundene Anschlussfähigkeit zu den kriegsbereiten NATO-Verbündeten zu erhalten – mit „Enthaltung“ gestimmt.

Uli Cremer

Comments

  1. […] Grüne Friedensinitiative erwägt: Was die Westerwelle-KritikerInnen von Fischer lernen […]

  2. Ich wusste schon immer, dass man nur wenigen Grünen trauen kann, vor allem wenn sie in Amt und Würden kommen: Dann geht es meistens nur noch um Konsense, historische Kompromisse und drohende Isolation im mainstream. Ihre Argumentation ist dann immer gleich: Das einfache Mitglied verstehe die Sachzusammenhänge nicht und kenne nicht die Macht des Faktischen. Deshalb meine Forderung an die Grünen: Wollt ihr nicht noch mehr WählerInnen an die Piraten und Linken verlieren, dann kehrt zurück zu euren kritischen Poitionen.


    Kalle Neubert
    17. Dezember 2011

RSSAbonnier' uns