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Wie Tom Koenigs den Krieg erklärt

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Warum führt Deutschland Krieg in Afghanistan?
Darüber muss sich der grüne Bundestagsabgeordnete Tom Koenigs immer wieder mal mit Demonstranten streiten, wie er in einem Interview in der Welt am Sonntag vom 14.2.2010 erläutert:

Da kämpft niemand für seine strategischen Interessen oder um Rohstoffe. Das ist übrigens der Punkt, wo ich mit Demonstranten immer wieder in Diskussionen komme. Die sind da falsch informiert. Rohstoffe gibt es in Afghanistan kaum, und militärisch können die USA heute alles auch von Flugzeugträgern und U-Booten aus machen. Dafür braucht man keine Militärbasen mehr.

Da hat Tom Koenigs recht. Es ist leider in der Friedensbewegung ein weit verbreiteter Irrtum, sich die heutige Kriege damit zu erklären, dass sich da mal wieder ein Staat Rohstoffe unter den Nagel reißen möchte oder eine Pipeline bauen möchte. Wer den Imperialismus in der Gestalt des 19. Jahrhunderts sucht, wird ihn in der heutigen Welt nicht finden. Und wer seine Ablehnung von Krieg nur so zu begründen vermag, dem gehen schnell die Argumente aus.
Aber was ist nun der Grund für die deutsche Kriegsbeteiligung? Da bietet Tom Koenigs im Welt-Interview folgende Erklärungen:

Es geht darum, eine gewählte Regierung zu schützen, die auf Grundlage einer Verfassung und der Menschenrechte agiert.

„Eine gewählte Regierung schützen“? Ein Argument mit nur sehr begrenzter Überzeugungskraft, hat man diese Regierung bei Kriegsbeginn doch gleich mitgebracht und die Wiederwahl von Karzai war angesichts der Fälschungen eine Farce.
Aber Tom Koenigs hat noch mehr Argumente. Zunächst ein echter Klassiker:

Wir kämpfen, weil wir verhindern wollen, dass Terroristen-Nester uns hier bedrohen. Der Satz von Struck – „Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt“ – war zwar ein blöder Spruch. Aber ein Teil der Wahrheit ist er doch.

Sorgen um terroristische Anschläge in Deutschland gab es freilich nicht vor, sondern vor allem nach Beginn des Krieges und nicht zuletzt wegen des Krieges. Aber Tom Koenigs hat noch mehr Argumente:

Es gibt jedoch einen zweiten, wichtigeren Grund: Wir haben eine Verantwortung gegenüber den Demokraten in Afghanistan. Man kann darüber streiten, ob wir diese Verantwortung immer und überall haben. Aber: In Afghanistan haben wir sie nun einmal übernommen. Und darum müssen wir uns ihr stellen. Die Auseinandersetzung, die in Afghanistan und anderswo geführt wird, ist die zwischen Fundamentalisten und liberalen Demokraten. Wir müssen unser Gewicht für die Demokraten in die Waagschale werfen.

Das kann man so verstehen: „Wir machen weiter, weil wir angefangen haben.“ Der Grund für den Krieg ist der Krieg. Aber Tom Koenigs sagt mehr: es ist ein Feldzug für die Demokratie und Menschenrechte. Da ist es an der Zeit einmal an einen Politiker zu erinnern, der in der gegenwärtigen Afghanistan Diskussion gerade bei den Grünen in Vergessenheit zu geraten droht: Ex-Außenminister Joschka Fischer. In seiner Rede im Bundestag am 8.11.2001 erläuterte er die Gründe für den Bundeswehreinsatz besser als mancher Friedensdemonstrant:
Zunächst hatte Fischer keinerlei Probleme damit, das Ganze beim Namen zu nennen:

Es ist eine Entscheidung, die auf die Frage gründet: Krieg oder Frieden? Es ist d i e zentrale Entscheidung.

Dann stellt er klar, dass das entscheidende Motiv für eine Beteiligung an dem Krieg nicht Menschenrechte und das Elend der Menschen in Afghanistan sind:

Und so furchtbar es ist: Es gibt so etwas wie eine pazifistische realpolitische Konsequenz. Wir können nicht überall humanitär intervenieren, das Elend zwar sehen, unser Bestes mit endlichen Mitteln versuchen aber nicht allerorts etwas dagegen tun.
Wir sind betroffen; ich meine das mit tiefem Ernst. Aber wir können nicht überall eingreifen. Auch das himmelschreiende Unrecht in Afghanistan ist nicht der hinreichende Grund für die Abwägung aller Möglichkeiten, (…)

Es ging und geht also nicht um die Beseitigung „himmelschreienden Unrechts“ und die Verteidigung von Menschenrechten. Worum dann? Fischer blieb die Antwort nicht schuldig – einmal weil:

seit dem 11. September von Afghanistan in Verbindung mit al-Qaida und Bin Laden eine Gefahr für den Weltfrieden und damit auch für uns ausgeht.

Die Kernfrage waren für Fischer nicht die Menschenrechte, er formulierte sie wie folgt:

Die entscheidende Frage – das ist die Kernfrage – , vor der wir stehen und um deren Beantwortung wir uns nicht drücken können, ist – man mag viel über die Strategie, die die USA eingeschlagen haben, diskutieren und sie meinetwegen auch kritisieren; die USA tun das selbst-: Können wir in dieser Situation, in der die Bevölkerung und die Regierung der Vereinigten Staaten angegriffen wurden, unseren wichtigsten Bündnispartner, der auf diesen Angriff antwortet und sich gegen diesen Angriff auf klarer völkerrechtlicher Grundlage zur Wehr setzt, allein lassen, ja oder nein? Diese Entscheidung hat dieses Haus zu treffen.“

Kernfrage des Krieges war für Fischer mithin das Bündnis mit den USA.

Wenn diese Entscheidung mit Nein beantwortet wird, wird das weitreichende Konsequenzen für die Bundesrepublik Deutschland, für deren Sicherheit und deren Bündnisfähigkeit haben

Das Bündnis mit den USA ist für Fischer natürlich kein Selbstzweck, sondern die einzige Möglichkeit für Deutschland und Europa an der Gestaltung der Ordnung in der Welt teilzuhaben – der ganzen Welt versteht sich:

Der Rückzug der Ersten Welt in den Unilateralismus – die USA haben ihn Schritt für Schritt vollzogen – ist durch die Anschläge vom 11. September unterbrochen worden. Für mich ist eine der Lektionen des 11. Septembers, dass die USA nicht wieder in den Unilateralismus zurückgestoßen werden dürfen. Wer das nicht einsieht, der verkennt, dass die USA gemeinsam mit Europa eine große Chance haben, Konflikte zu lösen, und der begreift nicht, dass Friedenspolitik im 21. Jahrhundert vor allen Dingen multilaterale Verantwortungspolitik bedeutet, dass wir nie wieder einen Rückzug der reichen Welt zulassen dürfen wenn man vor der Entscheidung steht, ob man militärisch handeln soll oder nicht, ist es meistens schon zu spät, dass wir uns vielmehr im Rahmen einer präventiven Friedenspolitik mit der Lösung der Probleme der Dritten Welt, insbesondere in Asien und Afrika, beschäftigen müssen ich betone: präventiv, nicht militärisch und dass die Länder der reichen Welt das gemeinsam tun müssen. (…)

Diese Rede von der weltweiten „Verantwortung“ ist die wohlklingende Formulierung eines politischen Anspruchs – auf weltweite Gestaltungs- und Ordnungsmacht. Aber nur gemeinsam mit den USA kann Deutschland und die EU wenigstens etwas an der Gestaltung der Ordnung der Welt teilhaben. Fischer warnte: wird das Bündnis mit den USA gefährdet, droht machtpolitische Einflußlosigkeit:

Die Entscheidung „Deutschland nimmt nicht teil“ würde auch eine Schwächung Europas bedeuten und würde letztendlich bedeuten, dass wir keinen Einfluss auf die Gestaltung einer multilateralen Verantwortungspolitik hätten. Genau darum wird es in den kommenden Jahren gehen.

Auch aus Koenigs Sicht ist eine solche Politik unabdingbar, wenn es um die Regierung einer der größten Wirtschaftsmächte der Welt geht. Sollte die SPD das nicht einsehen, droht ihr die „Regierungsunfähigkeit, wie Tom Koenigs angesichts der von der SPD (im Gegensatz zu den Grünen) beschlossenen Ausstiegsfristen mahnend feststellt.:

Welt am Sonntag: Wird die SPD weiterhin halbwegs geschlossen hinter dem Afghanistan-Engagement Deutschlands stehen?
Koenigs: Wenn sie nicht ihre Regierungsfähigkeit aufgeben will, sollte sie das.

Womit dann schon mal gleichzeitig von Tom Koenigs erklärt wird, was man sich unter Demokratie vorzustellen hat: Demokratie ist, wenn sich das Volk über die Außenpolitik streiten darf, aber sichergestellt ist, dass an der Regierungspolitik nichts verändert wird.
Fischers Nachfolger im Amt – der heutige Außenminister Westerwelle – , hatte am 8.11.2001 wie folgt formuliert:

Aber letzten Endes erwarte ich ganz persönlich, dass sich kein Abgeordneter des Deutschen Bundestages in dieser Frage zum Resonanzboden von Stimmungen macht, sondern dass er diese Entscheidung aus sich selbst heraus verantwortungsbewusst und mit Festigkeit trifft.Wenn wir in dieser Frage nur das Echo von Stimmungen wären, dann würden wir vielleicht auf Parteitagen oder da oder dort von irgendwelchen Gruppen begeistert gefeiert werden, aber wir würden unserer Verantwortung nicht gerecht.

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Comments

  1. Unserer Verantwortung gerecht werden…

    Wo liegt unsere Verantwortung und wo liegen ihre Grenzen?

    Wenn sie in Afghanistan liegen: was macht jetzt „der Westen“ anders als „die Russen“ (die bekanntlich militärisch an Afghanistan gescheitert sind), dass dieser Einsatz ein Erfolg werden muss? Ich glaube, „wir“ schaffen uns hier völlig ohne Not „unser“ Vietnam. Militäreinsätze und „Kollateralschäden“ werden „unser“ Ansehen nachhaltig untergraben, und wenn „wir“ noch soviel Blutgeld als Entschädigung zahlen.

    Meiner Meinung nach ist der Ansatz grundfalsch und wird im Endeffekt genau das Gegenteil von dem zur Folge haben, was beabsichtigt war – nämlich eben genau eine politisch instabile Region mit verbrannter Erde, die Terroristen jede Menge praktisch unzugänglicher Schlupfwinkel bieten wird.

    Und das Ergebnis wird nicht besser, wenn ein falscher Ansatz nur lange genug durchgezogen wird.

    Was wäre der richtige Ansatz? Ich weiß es nicht. Aber ich denke, er muss die Mentalität (oder richtiger: die unterschiedlichen Mentalitäten!) der Menschen mehr berücksichtigen. Vielleicht ist es sogar falsch, Afghanistan als Ganzes betrachten zu wollen. Eine korrupte Zentralregierung wird sich ohne Hilfe von außen nicht lange halten können, und es stellt sich die Frage, ob „wir uns“ einen Gefallen damit erweisen, die Regierung Karsai zu unterstützen.

    Mich erinnert die Beschreibung Afghanistans heute in weiten Teilen an die „Germaniens“ zur Römerzeit. „Unsere“ Region musste Jahrhunderte voll Irrungen und Wirrungen durchleben, bis sie dort ankam, wo „wir“ heute stehen. Es wird nicht möglich sein, diese Entwicklung innerhalb weniger Jahre einer Region überzustülpen, die sozusagen „archaisch“ tickt (wobei sich sowieso die ketzerische Frage stellt, ob das wirklich so gut wäre).

    Es ist also mit Sicherheit nicht einfach, und wer meint, mit einem militärischen Vorgehen etwas erreichen zu können, macht es sich zu einfach. Die Bundeswehr muss einen geordneten Rückzug antreten, bevor zuviel irreparabler Schaden angerichtet wird. Wollten „wir“ alle Regionen militärisch „befrieden“, aus denen „terroristische Übergriffe“ drohen, wären wir bei Weitem überfordert. Vielleicht sollte sich „der Westen“ lieber zu einer Weltpolitik durchringen, die mehr Rücksicht auf die Belange anderer Regionen und Menschen nimmt als immer nur seinen eigenen (wirtschaftlichen) Vorteil brutal durchzusetzen – dann gäbe es wahrscheinlich auch längst nicht soviele „Terroristen“…


    Hans-Martin Hoffmann
    19. Februar 2010
  2. Der Afghanistankrieg, strategische Interessen und Rohstoffe

    Ein wichtiges amerikanisches Kriegsziel ist die Einflussnahme in der ölreichsten Region der Welt, am kaspischen Meer und die Einkreisung des Iran und Russlands. Doch auch die afghanischen Rohstoffe machen das Land zum Ziel der Begierde.

    „Kabuls Bergbauminister Ibrahim Adil verkündete Mitte Juli 2008, dass im Zentralen Hochland Afghanistans Bodenschätze im Wert von 300 Milliarden Dollar verborgen seien.
    In der Bamyian-Provinz werden die Kohlevorkommen auf etwa 200 Millionen Tonnen geschätzt. Im Yakawlang-Distrikt der Region gebe es zudem eine Milliarde Tonnen Eisenerz. Wissenschaftler der Geological Society der USA (USGS) berichteten im Herbst des vergangenen Jahres, es gebe bedeutende Vorkommen an Gold, Quecksilber, Schwefel, Chromeisen und Magnesium. „Afghanistan besitzt große, bekannte Vorkommen an Rohstoffen und eine großes Potenzial für bislang noch unentdeckte Reserven“ , erklärte USGS-Vertreter Stephen Peters. Auch viel Erdgas und Öl wird vermutet. Theoretisch könnte Afghanistan einer der wichtigen Rohstofflieferanten der Welt werden.“ Badische Zeitung vom Freitag, 8. August 2008
    Mehr Infos:
    http://www.mitwelt.org/afghanistan-krieg-tornados.html


    axel mayer
    28. Februar 2010

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