MH17-Absturzstelle: Seit Tagen kein Zugang für die Ermittler
Seit dem mutmaßlichen Abschuss der malaysischen MH17 sind gut zwei Wochen vergangen und noch immer sind nicht alle Leichen geborgen, geschweige denn, dass die Absturzstelle von Experten gründlich untersucht wurde. In den ersten Tagen waren die Separatisten als Hauptverdächtige für den Abschuss auch für die Behinderung der Untersuchung und vieles mehr verantwortlich gemacht worden. Das stimmte insofern nicht ganz, als in dieser Zeit in dem Gebiet gekämpft wurde. Dazu gehören immer zwei, denn die Separatisten haben ja nicht mit sich selbst gekämpft. In den Worten des stellvertretenden Leiters der OSZE-Mission an der Absturzstelle, Alexander Hug: »Zumindest am Anfang, gerade nach dem Absturz, lag dieses Gebiet noch in der Mitte der Kampfzone. Es liegt immer noch an der Grenzlinie, aber am Anfang gab es noch aktive Kampfhandlungen in dieser Zone, und die Sicherheit dort zu gewähren, ist sehr schwierig und fast unmöglich. Uns wurde dann 24 Stunden nach dem Absturz, als wir dann vor Ort waren, die Sicherheit durch die Rebellen soweit garantiert, wie sie das garantieren konnten.« (Deutschlandfunk 24.7.2014)
Am 27.7.14 wurde von tagesschau.de gemeldet: »Prorussische Separatisten in der Ostukraine haben der malaysischen Regierung zugesagt, die Sicherung der Absturzstelle von Flug MH17 durch ausländische Polizisten zu akzeptieren.« Inzwischen sind Ermittler und Polizeikräfte aus den Niederlanden und Australien in der Ukraine eingetroffen; am 30.7.14 werden weitere Ermittler aus Malaysia erwartet. Eigentlich könnte es also endlich los- bzw. weitergehen mit den Arbeiten an der Absturzstelle.
Doch nun gibt es seit ein paar Tagen eine neue Situation: Seit vier Tagen ist es nicht mehr möglich zur Absturzstelle vorzudringen. Grund ist eine militärische Offensive der Kiewer Regierung: »Nach Angaben aus dem Verteidigungsministerium in Kiew wollen die Regierungstruppen die Separatisten aus der Gegend um den Absturzort vertreiben.« (Welt 28.7.2014)
Ursprünglich hatte Poroschenko einen Waffenstillstand „40 km rund um die Absturzstelle“ verkündet. Auch die Separatisten hatten zugesagt, die Kämpfe in dem Gebiet einzustellen. Insofern hat die Kiewer Führung ihre eigenen Zusagen gebrochen und behindert seit Tagen die Ermittlungen. Es liegt auf der Hand, dass eine Militäroffensive zur Vernichtung von Beweisstücken auf der Absturzstelle führt. Damit verstößt Kiew gegen die Resolution des UN-Sicherheitsrats 2166 vom 21.7.2014. Diese »verlangt, dass alle militärischen Aktivitäten, einschließlich derjenigen bewaffneter Gruppen, in der unmittelbaren Umgebung der Absturzstelle sofort eingestellt werden, damit die Sicherheit der internationalen Untersuchung gewährleistet werden kann« UN-Sicherheitsrat Resolution 2166
Wie gegenüber den Separatisten muss auch hier die Frage gestellt werden und erlaubt sein: Sollen hier Beweise absichtlich vernichtet werden? Wieso behindert Kiew die Ermittlungen? In jedem Falls scheint es »die Strategie der ukrainischen Streitkräfte … zu sein, die Stimmung nach dem Abschuss des Passagierflugzeugs auszunützen, um möglichst schnell und mit schweren Waffen den Widerstand der Separatisten zu brechen.« telepolis 29.7.2014
Unzufrieden ist verständlicherweise der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte. Er hat am 29.7.14 »eine sofortige Waffenruhe bei der Absturzstelle von Flug MH17 verlangt. Rutte forderte den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko mit Nachdruck auf, die Gefechte zu stoppen, um die humanitäre Arbeit zu ermöglichen, teilte ein Regierungssprecher am Dienstag in Den Haag mit… Kostbare Zeit gehe verloren, sagte Rutte nach den Worten des Regierungssprechers. Der ukrainische Präsident soll zugesichert haben, alles für den sicheren Zugang der Experten zu tun.« (taz 30.7.2014)
Am nächsten Tag (30.7.2014) hatte sich jedoch nichts geändert: »„Das australisch-niederländische Expertenteam und unabhängige OSZE-Beobachter haben die Reise zum Absturzort erneut verschoben“, teilte die australische Bundespolizei am Mittwoch mit.« Boeing-Crash: Internationale Ermittler schaffen es wieder nicht zur Absturzstelle (RIA Novosti 30.7.2014)
Die Kiewer Militäroffensive am Abschussort stört interessanterweise weder in den westlichen Mainstreammedien noch in der westlichen Mainstreampolitik irgendeinen großen Geist. Die Empathie mit den Opfern des Flugzeugabschusses war offenbar nur zeitlich befristet. Stattdessen wurde gerade wieder eine neue Runde Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt.
Überwachung der Grenze und Artilleriebeschuss
Eine zweite propagandistische Baustelle ist die Überwachung der russisch-ukrainischen Grenze. Hier wird Russland seit Monaten beschuldigt, Nachschub an Waffen und Söldner über die Grenze zu schaffen. Immerhin unterbreitete Moskau am 14.7.2014 den Vorschlag, die OSZE könne ja damit beginnen, an den beiden Grenzposten Bukowo und Donezk die zu kontrollieren. Donezk ist der russische Grenzort, in dem ein russischer Bauer am 13.7.14 durch ein Geschoss vom ukrainischen Territorium getötet worden war.
Nachdem die Ukraine, die USA und ein paar andere Staaten 10 Tage die Entsendung einer Beobachtermission blockiert hatten, wurde beschlossen, 16 OSZE-Beobachter an die beiden Grenzposten zu schicken. Für das Monitoring dürfen sie alle technischen Mittel, auch Drohnen, einsetzen. RIA Novosti 28.7.2014
Besondere Aufmerksamkeit erfuhr der entsprechende OSZE-Beschluss in westlichen Medien selbstverständlich nicht. Solche Details stören möglicherweise die Sanktionsorgie. Vielmehr stand die Veröffentlichung von Satellitenbildern durch die US-Regierung propagandistisch im Vordergrund. Diese würden beweisen, dass russische Artillerie-Einheiten von Russland aus ukrainische Soldaten beschossen hätten, und zwar genau in den Tagen, als die USA die Entsendung der erwähnten OSZE-Mission an der Grenze blockierten. Warum die russische Armee die Artillerie eingesetzt haben soll (um Gründe für neue Wirtschaftssanktionen zu liefern zum Beispiel…?), wurde nicht weiter erörtert.
Bei den Bildern handelt es sich nicht um Aufnahmen der USA selbst, sondern um angekaufte private Bilder. Der Militärexperte Reed Foster (Analyst beim Militär-Fachverlag IHS Jane’s) lässt das Material allerdings nicht als Beweisstück durchgehen: »Von den Bildern aus kann man kaum sagen, wer welche Raketen benutzt hat… Eine „smoking gun“ – in dem Sinne, dass man sehen könne, hier würden Raketen von russischen Truppen oder von russischen Systemen gefeuert – sind die Bilder nicht. Die Ukrainer und Russen benutzen ja dieselben Raketensysteme; es ist also sehr schwer zu sagen, welche Waffen etwa die Separatisten beschlagnahmt haben oder geliefert bekommen haben. Das ist eine große Schwierigkeit in diesem Konflikt.« SPON 30.7.2014
Insofern sollte man in diesen Tagen nie vergessen, dass man nicht einer geordneten Gerichtsverhandlung, sondern einer internationalen Propagandaschlacht beiwohnt.
Uli Cremer
30.7.2014 (13.30 Uhr)