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Der Westen und die Menschenrechte: Tunis, Kairo und Kabul

Den Volksaufstände in Tunesien und Ägypten hatte der Westen nicht bestellt. Sie werfen ein Licht auf die westliche Politik gegenüber islamischen Staaten – auch gegenüber Afghanistan. Die grüne Europapolikerin Franziska Brantner schrieb in der Frankfurter Rundschau:

In … hat sich die Europäische Union jahrelang zum Komplizen des autokratischen und korrupten Präsidenten … gemacht. So hoffte man, Stabilität in der Region zu fördern und den Islamismus zu bekämpfen.

Franziska Brantner meinte die Politik der EU gegenüber Tunesien und Ägypten. In ihrem 7. Menschenrechtsbericht schrieb die damalige CDU/SPD Bundesregierung über Tunesien 2007:

Ein Großteil der Bevölkerung scheint Menschenrechtsdefizite noch als Preis für Stabilität und wirtschaftliche Prosperität zu akzeptieren.

Schön, so sah es die gleichfalls an „Stabilität“ und „Wirtschaft“ interessierte Bundesregierung zufälligerweise auch. Und die Konrad Adenauer Stiftung erklärte noch am 11.11.2010, Tunesien sei ein

ausgezeichneter Partner

Was hat es mit der Politik des Westens gegenüber islamischen Ländern auf sich? Der Journalist Marc Thörner hat in seinem Buch „Der falsche Bart“ in mehreren Länderstudien herausgearbeitet, wie der Westen zu Entstehung und Verbreitung des Islamismus in der arabischen Welt beigetragen hat. Wie Frankreich in Marokko Anfang des 20. Jahrhunderts künstlich einen islamischen Gottesstaat schuf, den es dort nie gab. Wie der Westen Diktatoren an der Macht hält, weil diese angeblich den „Islamismus“ bekämpfen und deshalb den „Extremismus“ geradezu brauchen, damit weiter Millionen aus dem Westen fließen. Thörners Studie „Der Afghanistan Code“ ist vor einigen Monaten erschienen. Doch nicht nur früher unterstützten die USA afghanische Mudschaheddin und verteilten durch die US Hilfsorganisation USAID dschihadistische Bücher als Unterrichtsmaterial in pakistanischen Madrassas. Heute sind diese Mudschaheddin als Provinzgouverneure geschätzte Partner der Bundeswehr im Norden Afghanistans. Wie sehr die heutige NATO Politik in Afghanistan jener französischen Politik in Nordafrika gleicht, kann man in Thörners Artikel in der linkssozialdemokratischen „spw“ nachlesen. Sein Urteil:

Das „Nation Building“, der Aufbau eines modernen Rechtsstaates, wie er bei der Bonner Petersberg-Konferenz konzipiert worden war, steht aus Sicht der Afghanistan-Geberländer längst nicht mehr im Vordergrund. Eher geht es darum, Strukturen zu stärken, die sich bei der vermeintlich „traditionell orientierten afghanischen Bevölkerung“ durchsetzen lassen. Bereits Ende 2007 schien das Paradigma sich vom Nation Building weg zu bewegen, hin zur Stabilisierung eines fundamentalistisch orientierten Systems.

Franziska Brantners Worte passen deshalb ebenso auf Afghanistan. Außenminister Westerwelle kam in seinem Plädoyer für eine Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes am 21.1.2011 im Bundestag ganz ohne jede Menschenrechtsrethorik aus:

Das Ziel unseres internationalen Engagements ist es daher, eine politische Lösung zu erreichen, um Afghanistan nachhaltig und dauerhaft zu stabilisieren, damit es auch in der Zeit nach unserem Engagement nicht wieder Hort und Rückzugsort des Terrorismus gegen die Welt werden kann.

Der grüne Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin meinte deshalb den deutschen Außenminister Westerwelle an die Menschenrechte erinnern zu müssen. Das ist an sich schon bemerkenswert, gilt doch jedenfalls auf grünen Parteitagen der Krieg in Afghanistan als ein einziger Kampf der NATO um die Menschenrechte. Jürgen Trittin mahnte deshalb die Bundesregierung, auf keinen Fall Frieden um jeden Preis zu schließen:

Wir müssen einen politischen Kompromiss finden. Aber, meine Damen und Herren, eine Verhandlungslösung kann nicht losgelöst von Kriterien gefunden werden. Es muss auch bei einem so schwierigen politischen Kompromiss rote Linien geben, was Rechtsstaatlichkeit, Menschen- und Frauenrechte angeht.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Es kann nicht sein, dass man einen Friedensprozess um jeden Preis durchführt, und am Ende zahlen den Preis die afghanischen Frauen. Das kann nicht sein.

Umkehrschluss: dann eben keinen Frieden, sondern weiter Krieg. Doch führt die NATO in Afghanistan Krieg für die Frauenrechte?
Menschenrechte werden – das ahnt auch Jürgen Trittin, sonst wäre seine Mahnung überflüssig – im Diskurs von NATO, EU und USA offenbar je nach Bedarf eingesetzt: mal wird mit ihnen die Legitimität einer Regierung bestritten und ihre Absetzung auch mit militärischer Gewalt gerechtfertigt. Vorwürfe in dieser Richtung hat man im Sudan, Iran oder Kuba zu fürchten und einst eben die Taliban. Kommt Kritik eher ungelegen unterbleibt sie: heute in Kabul ebenso wie gestern in Tunis oder Kairo. Der Asien-Redakteur der taz, Sven Hansen, schrieb deshalb schon am 13.9.2009 zu Afghanistan:

Das Maximum, das der Westen in Afghanistan noch erhoffen kann, ist, einen autoritären Potentaten zu hinterlassen, der getreu dem US-amerikanischen Bonmot „Er ist ein Hurensohn, aber er ist unser Hurensohn“, der die Regierung auf prowestlichem Kurs hält. Sicherheitspolitisch könnte das sogar funktionieren, weil dessen Terror sich dann „nur“ gegen die eigene Bevölkerung und vielleicht noch gegen Nachbarstaaten, nicht aber gegen den Westen richtet.

Könnte funktionieren -oder auch nicht.
Franziska Brantner eingangs zitierte Sätze passen deshalb ohne weiteres auf Afghanistan und lesen sich dann so:

In Afghanistan hat sich die Europäische Union jahrelang zum Komplizen des autokratischen und korrupten Präsidenten Karzai gemacht. So hoffte man, Stabilität in der Region zu fördern und den Islamismus zu bekämpfen

Das hat Franziska Brantner nicht so gesagt.
Sie hatte noch zwei Worte als ihr knappes Urteil über die EU Politik gegenüber Tunesien angefügt. Und auch die passen auf Afghanistan:

Ein Irrtum.

Comments

  1. […] weiterlesen… Verfasst am 02.02.2011 um 1:01 Uhr von webmeister mit den Stichworten Arabien, Menschenrechte, Naher Osten. Bislang wurde kein Kommentar hinterlassen. Du kannst hier einen Kommtenar schreiben. Hier ist die TrackBack URL und der Kommentar-Feed des Artikels. Du kannst den Artikel auch auf Twitter oder Facebook posten. « Namentliche Abstimmung zur Verlängerung des Afghanistanmandats durch den Bundestag   […]

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